
Auf heute bezogen lautet die Antwort ganz klar: Nein danke!
Die E-Scooter flitzen seit einiger Zeit durch unsere Stadt.
Erwartungsgemäß tun sie das auch dort, wo sie nicht fahren dürften. Keine drei Wochen hat es gedauert seit Beginn der E-Scooter-Ära, bis uns so ein Vollpfosten vor die Füße fällt. Mitten auf der Allee hier vor der Haustür, alles reiner Fußgängerbereich, fett beschildert.
Kommt uns entgegengebraust, hat lässig eine Hand am Lenker, hält mit der anderen sein Smartphone fest, guckt auch auf selbiges und fährt fröhlich vor sich hin. Irgendwann beschließe ich, mich bemerkbar zu machen und rufe „He, Vorsicht!“, weil das Fräulein und ich wollen nicht in die Rabatten springen, um dieser Blindschleiche auszuweichen, die einen heftigen Linksdrall hat. Der Typ guckt auf und will nach rechts lenken, dabei verliert er erst das Smartphone und in der Sekunde danach die Kontrolle über den Roller – und stürzt. Direkt vor unsere Füße.
Lässt man den jetzt liegen und zeigt im Weitergehen auf das blaue Fußgängerschild, das zwei Meter neben ihm steht? Nein, macht man nicht. Und Pippa schon gleich gar nicht. Menschliches Aua bestürzt sie und aktiviert sofort ihren Krankenschwestermodus. Aus anatomischen Gründen ist sie als Erste am Unfallort, bemerkt das Blut (Schienbein aufgeschürft, nicht dramatisch) und verpasst dem Vollpfosten eine Ohrwäsche, die jeglichen Schock sofort vertreibt. Ich ziehe sie an der Leine von dem Gestürzten weg, beuge mich zu ihm herunter und frage: „Alles ok?“ und „Soll ich Ihnen beim Aufstehen helfen?“. Er bejaht das Erste und verneint das Zweite und rappelt sich etwas wacklig auf.
Der E-Scooter hat auch eine Schramme abbekommen, das Smartphone einen Displaybruch. Ich nicke dem Typen zu, nicht so genau wissend, was mein Nicken eigentlich ausdrücken soll, und gehe langsam mit Pippa weiter. Drehe mich nach ein paar Schritten im Gehen nochmal kurz um, um zu schauen, ob der Kerl wirklich so weit in Ordnung ist, dass auch er weitergehen (oder -fahren) kann. Kann er.
Mich wieder nach vorn drehend denke ich „Blödes E-Scooter-Zeug!“ und „Hab ich’s mir doch gedacht, dass man mit denen kollidiert!“ und als ich mir gerade noch ausmalen will, wie sich das wohl entwickeln wird mit diesen neuen Verkehrsteilnehmern, sehe ich, wie auf dem Wiesenstreifen, der neben der Allee verläuft, ein schäferhundgroßer Mischling auf uns zuschießt. Im Laufen lässt er den Ball, den er in der Schnauze hält, fallen und die letzten Meter bis zu uns bestehen nur noch aus ein paar großen Sprüngen. Dann stürzt er sich direkt auf das Dackelfräulein, reißt sein Maul auf und fletscht die Zähne. Pippa duckt sich, jault laut und kann nicht flüchten, weil sie ja angeleint ist.
Ich lasse die Leine fallen und schreie panisch „Lauf!“ und tatsächlich rennt sie los. Der Angreifer will hinterher, ich springe dazwischen, stampfe mit dem Fuß auf und brülle den Hund an, fuchtle mit meinem Rucksack vor ihm herum. Dann entdecke ich endlich sein Frauchen, eine übergewichtige Trulla, Gothic-Style, Kippe in der einen, Smartphone in der anderen Hand. Behäbig über die Wiese watschelnd ruft sie „Timmy!“, aber Timmy schert sich nicht drum und Trulla ist leider zu unbeweglich, um einen Zahn zuzulegen und sich ihren Timmy zu schnappen. Ich plärre, sie solle sich beeilen und ihren Hund festhalten, weil der meinen um ein Haar gebissen hätte und ernte dafür ein dröges „Komm ja schon“, zwischenzeitlich ist Pippa wieder bei mir angekommen, sucht hinter mir Schutz, aber Timmy sieht sie und will erneut auf sie losgehen.
Da platzt mir der Kragen und ich raste aus. Von irgendwo ganz tief in mir drin rollt eine Welle an Kraft und Energie heran, die mich völlig überrascht, weil a) ich heute zum einen stark erkältet und zusätzlich von Blutungen ziemlich entkräftet bin und b) der Tag bis hierhin sowieso schon gelinde gesagt eher schwierig war und das nicht etwa nur wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Was dann geschah, schreibt man vielleicht besser nicht in so einen Blog rein.
Jedenfalls ist Pippa nichts geschehen, ihre letzte Bisswunde ist ja grad mal drei Monate her, und auch mir ist nichts passiert. Und auch sonst gab es keine Verletzten oder Toten.
Beim Nachhauselaufen denke ich innerlich wie äußerlich noch ziemlich zitternd über den Vorfall nach und auch darüber, wie man nur plötzlich solche Kräfte entwickeln kann und woher dieses Begleitvokabular kommt und warum das alles binnen Bruchteilen von Sekunden einfach da ist und so fix abläuft wie ein Film im Daumenkino.
Und ich denke auch an den Running Gag zwischen dem Gatten und mir, den wir seit ein paar Jahren pflegen.
Wenn einer von uns mal in eine dieser Ausnahmesituationen geraten ist, in der er/sie sich nur mit Müh und Not beherrschen konnte, um nicht total die Fassung zu verlieren, also zumindest nicht so, dass dabei Sach- oder Personenschäden entstehen, und man dem anderen danach von dieser Ausnahmesituation und ihrer Bewältigung berichtet, beenden wir solche Berichterstattungen meist mit dem natürlich scherzhaft gemeinten Satz: „Ich bin gespannt, wer von uns den anderen zuerst aus der U-Haft abholen muss.“
Seit zwei Stunden bin ich mir nicht mehr sicher, ob es sich meinerseits wirklich noch um einen Scherz handelt.
Aber wenigstens hätte es der Gatte nicht weit. Die nächste Polizeidienststelle ist in der Beethovenstraße und der Weg dorthin wirklich sehr idyllisch, sofern einen auf der schönen Allee keine E-Scooter anfahren oder Hunde anfallen.
Jetzt versuche ich mal, meinen Arbeitstag fortzusetzen und öffne mir ein Fläschchen Hopfengetränk, zur Nervenberuhigung.
Prosit!
Auf einen ruhigen Abend & betrachten Sie diesen Beitrag bitte in erster Linie als eigentherapeutische Maßnahme.
❤
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Da muss man ganz bei sich sein – wie im Yoga – damit nichts passiert.
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Gut, dass ich mal zehn Yoga-Jahre absolivert habe…
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Öffne am besten (eigentherapeutisch) heute ausnahmsweise ein zweites Fläschchen Hopfengetränk. Auf einem Bein kann man nicht stehen, flitzen, den Hund schützen… 🍻
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Vielleicht. Absolut ausnahmsweise.
(Du meinst also, auf allen Vieren hätte ich bessere Chancen bei der Verteidigung? ;-))
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Ganz klar ja. Dazu würde ich dann auch entschlossenes Bellen empfehlen. So wäre die Trulla vielleicht auch sofort beeindruckt gewesen…
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Wenn du wüsstest, liebe Birgit, wie ich die Trulla auch im Zweifüßlerstand beeindruckt habe… Aber auch das rechtfertigt eigentlich das Zweitflascherl.
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👍
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Manchmal platzt schlicht und ergreifend der Kragen. Warum denn auch nicht, vor allem wenn man gute Gründe hat. Hoffe, ihr habt euch beide gut erholt von den Schrecken! Allerherzlichste Grüße aus Wien! Silvia
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Danke, mittlerweile habe ich wieder Bodenhaftung.
Sende herzlichste Grüße nach Wien,
Natascha
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Schadenfreudemodus an „Der Rollerfahrer hat jetzt eine Spiderapp“ Schadenfreudemodus aus.
Dein „Hundeauftritt“ muss ja wirklich heftig gewesen sein wenn du überlegt hast, dass der Gatte es ja nicht weit hätte, um dich hinter schwedischen Gardinen zu besuchen.
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Da breiten wir nun den Mantel des Schweigens drüber, ziehen die Vorhänge zu (keine schwedischen Gardinen, sondern dänische) und wollen den Tag in Frieden zu beenden versuchen 😉
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Auweia! Jetzt weiß ich, was du in deinem Kommentar zu meinem Bretagne-Artikel angedeutet hast. Ich kann so gut verstehen, dass dir der Kragen geplatzt ist. Aber ist es nicht auch beruhigend zu wissen, dass man wenn es drauf ankommt, ungeahnte Kraft- und Energiereserven auspacken kann?! Ich bin mir sicher, dass deine Reaktion genau die richtige in dieser Situation war!! Prost! (Habe mir auch gerade ein Weizen- äh, ich meine Weißbier aufgemacht und komme nun endlich dazu, mir deinen Artikel über die geplante Schweden-Reise durchzulesen.)
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Ja, einerseits ist es beruhigend, zu wissen, dass man auch an schwachen Tagen noch zur Löwin werden kann, wenn Gefahr droht. Andererseits hat es mich auch schockiert, wie sehr ich ausgerastet bin – wenn wir mal wieder bei einem Weiß(!)bier zusammensitzen (oder bei zweien), leg ich vielleicht ein Geständnis über den Tathergang ab…
Pippa hat mich auf den letzten Metern heimwärts jedenfalls sehr ehrfürchtig angesehen (du kennst diese Blicke sicher: der Hund geht ein Stück vor dir und schaut auf einmal über seine Schulter zurück und zu dir hoch, und da gibt’s ja dann x Sorten von Blicken).
Und was Schweden angeht: Der Elch kann jedenfalls kommen, den erleg ich auch noch, sollte er auf meine Pippa losgehen!
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Oh ja, diese Blicke kenne ich sehr gut! Man kann ihnen nicht ausweichen und irgendwie fühlt man sich ertappt. P.S. Ich hatte auf ein bierseliges Geständnis irgendwann gehofft 😉
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Genau. Und es sind manchmal auch so Blicke, bei denen ich mir denke: Sie hat alles verstanden, wirklich alles. Schwingungen, Stimmungen und viel mehr an Worte und Taten als man so annimmt.
Nun denn, gute Nacht für heute!
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Oh!Ja! Bei ganz besonderen Gelegenheiten, wenn es einfach nicht mehr anders geht, weil der Hund ja selbst nicht beissen darf…Da kommt von ganz unten aus dem Gedärm eine Woge an Energie, die autark mit großer Macht nach oben schäumt und dann all das vollbringt, was wir uns sonst nicht erlauben oder auch zutrauen. Das zivilisierte Miteinander ist ja auch unverzichtbar. Nur leider funktioniert das nicht einseitig. Und darum gibt es zum Glück seltene Momente, wo „es“ die Regie übernimmt und für ein Gleichgewicht sorgt.
Spendieren Sie Ihrer starken inwendigen Ressource vielleicht auch ein Bierchen und klopfen Sie sich auf die Schulter. Gut gemacht.
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Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Anmerkungen und den Zuspruch! Im Großen und Ganzen verbuche ich das gestrige Ereignis auch unter Notwehr und Verteidigung, und die Erschütterung ob der überraschenden Vehemenz hat sich noch gestern Abend in Muskelkater im gesamten Schulter-/Nackenbereich niedergeschlagen. Das werde ich mir jetzt trotz Erkältung mal vom Leib schwimmen.
Danke nochmal und schöne Grüße!
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