Liebe Leserinnen und Leser,
na, verstehen Sie etwa nur Bahnhof, wenn Sie die Beitragsüberschrift so lesen?
Wenn ja, dann möchte ich Sie ganz herzlich einladen: Tauchen Sie mit mir nicht nur virtuell in die wiedereröffneten Schwimmbecken ein, sondern auch in ganz neue Sphären!
In diesem Blog ist ja – wie Sie natürlich längst bemerkt haben – doch eine gewisse thematische Vielfalt geboten: von den Abenteuern des schönsten Münchner Dackelfräuleins, über Touren durch die schönste bayrische Bergwelt, Langzeitstudien zu bernsteinfarbenen Biersorten, wortreiche Berichte über Wasserfreuden aller Art (indoor & outdoor), Baustellen aller Größenordnungen (inside & outside), Beziehungen zu menschlichen und tierischen Gefährten, Szenen einer Ehe mit einem Wissenschaftler, Entstehung von polnisch-deutschen Freundschaften, Episoden düster-russischer Matrjoschkaerinnerungen und parkinsongeplagter Papaerlebnisse bis hin zu zahlreichen Ausflugstipps zwischen Garmisch und Gotland – die bunten Alltagsbeobachtungen und abwechslungsreichen Exkursionen in die Tiefen der Brucologie nicht zu vergessen.
Trotz der diversen Herausforderungen in Zeiten von Corona und des Lebens an sich wollen wir nicht nachlassen und Sie auch weiterhin mit einem breiten Spektrum an Themen versorgen.
Heute: Die Intradomalfauna.
Ich habe das Wort heute Morgen zum ersten Mal gelesen und dank leidlich vorhandener Lateinkenntnisse und seiner Verortung auf einer Internetseite, die sich mit Schädlingsbefall befasst, auch augenblicklich verstanden.
Mit Intradomalfauna sind all jene häuslichen Mitbewohner gemeint, zu denen man in keinerlei verwandtschaftlichem Verhältnis steht, mit denen man die Wohnung ungern sowie unfreiwillig teilt und deren Vorhandensein mittelfristig inakzeptabel ist, erst recht, wenn man seinen Wohnraum nicht für ’n Appel und ’n Ei oder für umme überlassen bekommt, sondern für ein allmonatliches kleines Vermögen.
Weil sich Intradomalfauna gleich viel weniger ekelhaft anhört als Schabe, Silberfisch, Speckkäfer oder Staublaus, habe ich diesen neu entdeckten Begriff sofort in meinen aktiven Wortschatz integriert.
Wie Sie ja wissen (und wenn nicht: wir berichteten hier), hatte sich im Nachgang der Wasserschadensanierungs- und Badrenovierungs-Ära unsere Intradomalfauna ein klein wenig verändert.
Mitte Mai nämlich zog die Staublaus bei uns ein und lebt mittlerweile (Stichwort: Familiennachzug) in einer Mehrgenerationen-Population in unserem neuen Badezimmer (ausschließlich an einer Wand) und im angrenzenden WC (auch dort vorwiegend auf der dem Bad zugewandten Seite).
Staubläuse (lat.: Psocoptera) gehören zoologisch gesehen zur Ordnung der hemimetabolen Insekten mit weltweit über 4.000 Arten [Anm. d. Red.: krass, oder?]. Ihr 1–7 mm großer, verschieden gefärbter, weichhäutiger Körper gliedert sich in einen großen, halbkugeligen Kopf, einen Brustabschnitt und einen sackförmigen Hinterleib. Der Kopf trägt seitlich liegende, bei vielen Arten nur schwach entwickelte Komplexaugen [Anm. d. Red.: auch ein schöner, neuer Begriff – „Komplexaugen“] sowie fadenförmige, aus bis zu 50 Gliedern bestehende Fühler [Anm. d. Red.: Pfui Deifi & gut, dass die eigene Sehkraft schon etwas nachgelassen hat]. Der Brustabschnitt trägt außer den 3 Paar Beinen 4 einfach geäderte, verschieden gefärbte Flügel, die während des Flugs zur funktionellen Zweiflügeligkeit verhakt [Anm. d. Red.: „zur funktionellen Zweiflügeligkeit verhakt“ – lassen Sie sich diese wunderbare Formulierung auf der Zunge zergehen und assoziieren Sie nach Herzenslust, einfach so, als Phantasiereise!] und in der Ruhe dachförmig über den Hinterleib gelegt werden können [Anm. d. Red.: in meinen Augen ist das pure Poesie].
Häufig (besonders bei Weibchen) sind die Flügel reduziert; auch voll geflügelte Arten bewegen sich hauptsächlich laufend fort [Anm. d. Red.: und zwar ziemlich flott, beinahe flotter als Sie mit dem Lappen hinterherkommen]. An der Unterseite des 9. (Männchen) bzw. 8. (Weibchen) Hinterleibsegments liegen die Geschlechtsöffnungen. Der Kopulation geht eine Art Balz voraus [Anm. d. Red.: hier sind offenbar nahezu alle Lebenwesen ähnlich gepolt]. Die Weibchen kitten die 20–100 Eier auf die Unterlage [Anm. d. Red.: also unseren neuen Waschtisch]; das Gelege wird oft noch mit einem Gespinst versehen [Anm. d. Red.: Gespenster haben wir noch keine gesehen]. Die sich hemimetabol entwickelnden Larven ähneln in Aussehen und Lebensweise den Imagines [Anm. d. Red.: alles klar!].
Die Staubläuse ernähren sich vor allem von Algen, Pilzen und Flechten; sie bevorzugen daher feuchte Lebensräume [Anm. d. Red.: Zefixnochamal, Scheißwasserschaden und überhaupt reicht’s jetzt langsam mit dem ganzen Gschiss da herin!].
Im Sinne der konsequenten Umsetzung unserer bloginternen Sprachhygienemaßnahmen wird hier ab sofort nur noch von Psocoptera die Rede sein, wenn ich konkreter über unsere Intradomalfauna berichte. Gewöhnen Sie sich also bitte gleich auch an diesen Begriff (und sollten Sie es je selbst damit zu tun bekommen, was ich Ihnen keinesfalls wünsche, könnten Sie mit dem Vokabular immerhin sofort Eindruck schinden bei Ihrem Hausverwalter/Vermieter, da kommen Sie nämlich gleich viel kompetenter rüber als wenn Sie nur ein angewidertes „Wir haben seit der Sanierung Staubläuse in der Bude!“ vom Stapel lassen).
Im Laufe der letzten Wochen habe ich nicht nur unseren Vermieter über den Zuzug der Psocoptera informiert, wie man das ja als braver Mieter bei jeglicher Art von Untervermietung der Mietsache zu tun hat, sondern auch eine neue Tätigkeit in meinen Alltag integriert: ich rücke den Psocoptera nun täglich 2-3x zu Leibe, damit sich auf der Waschtischplatte und den beiden betroffenen Wänden keine größeren Versammlungen bilden können, sondern nur ein paar Kumpels mit ihren Kumpels beisammen sitzen oder gemeinsam herumkrabbeln.
Zum ersten Kaffeehaferl bereitete ich mich heute Früh auf den Termin mit dem Mitarbeiter der Firma Schaden365 vor und las mich ein wenig in die Genealogie der Psocoptera ein. Man muss ja entsprechend stotterfrei und im Fachjargon argumentieren können, sonst nehmen einen diese Professionisten ja nicht ernst.
Etliche Feuchtigkeitsmessungen – denn die Psocoptera siedeln sich ja ausschließlich in feuchten Materialien und Baustoffen an – wurden durchgeführt, nicht nur an den „befallenen“ Stellen, sondern auch an benachbarten Wänden und angrenzenden Decken.
Das Ergebnis? Der Fachmann war ratlos. Alles ist trocken!
Wo also kommen sie her, die Viecherl, und wovon ernähren sie sich?
Er fertigte sodann mehrere Beweisfotos von den umhereilenden Psocoptera an, bestaunte ausgiebig meine neueste Versuchsanordnung (luftdicht abgeklebte Dreifachsteckdose an neu verfliester Wand über dem Waschtisch, weil ich genau hier die Keimzelle des Grauens vermute, und siehe da: hinter der Folie lungern mittlerweile Dutzende erstickte Psocoptera herum) und war ganz aus dem Häuschen als er die kleinen grauen Leichen mit Taschenlampe und Lupe genauer in Augenschein nahm.
Mit dem Versprechen, seinen Bericht noch heute dem Vermieter zukommen zu lassen, verabschiedete er sich schließlich.
Weil ich keinem Handwerker außer Lolek traue, schrieb ich unserem Vermieter nach dem Termin auch selbst noch einen Bericht. Ein paar Stunden später traf erfreulicherweise bereits eine Reaktion ein: Unser Einverständnis vorausgesetzt würde er umgehend die Firma Biebl & Söhne beauftragen, sich der Angelegenheit anzunehmen.
Der Firmenname suggeriert zwar ein gewisses Gottvertrauen, dennoch googelte ich den Betrieb. Und schon wieder betrat ich eine neue Welt: die der Schädlingsbekämpfung (hieß das nicht früher mal Kammerjäger?).
Leckomio, uns steht also in Kürze der Besuch eines IPM-Beauftragten bevor!
Und Integrated Pest Management – das klingt irgendwie gar nicht mehr nach Kindergeburtstag oder Begutachtung der Psocoptera im Scheine einer kleinen Halogen-Stabtaschenlampe. Aber immerhin bewegt sich das Tun der Bieblsöhne offenbar noch im Rahmen der gültigen Gesetze und der GHP, was auch immer dieses Akronym bedeutet.
Neue Lieblingsbegriffe nach Lektüre der Startseite von Biebl & Söhne: Verbergungsräume und Monitoringstation.
Ich stelle mir das in etwa so vor: Unser Bad und WC wird recht bald nach dem Erstbesuch des IPM-Beauftragten mit zig Überwachungskameras ausgestattet, zuvor hat man natürlich, um die winzigen Sichtgeräte überhaupt einbringen zu können, die Silikon- und Epoxidzementfugen an mehreren Stellen aufgebohrt, um hinter die Kulissen gucken zu können, quasi in den Brutkasten und die Geheimgänge der Psocoptera, im Fachjargon Verbergungsräume genannt. Der Biebl & Söhne-Mitarbeiter installiert uns auf einem Leih-Tablet ein System, mit dem wir uns jederzeit in eine beliebige der knapp 100 Kameras einwählen können, um das Geschehen live zu beobachten, zusätzlich stehen uns diverse Statistik- und Analyse-Tools zur Verfügung, mit denen wir die Lebensgewohnheiten unserer Psocoptera en detail kennenlernen können: Wann stehen sie auf, wann putzen sie sich die Zähne, wann beginnen sie ihr Tagwerk, wann machen sie Mittagspause und Feierabend, welches Familienmitglied ist fürs Müllruntertragen zuständig und welches für die Umsatzsteuervoranmeldung, machen sie auch Urlaub, schlafen sie getrennt oder im Rudel, welchen Hobbys gehen sie in ihrer Freizeit nach, gibt es religiöse Praktiken, glauben sie an die Demokratie oder daran, das Bill Gates demnächst ihren schönen, freien Psocoptera-Staat auflösen und sie alle zu Impfungen verpflichten wird, die ihre zarten Körper verseuchen werden?
Bleiben Sie also dran & freuen Sie sich schon heute auf die nächste Folge von „Psocoptera privatissime“, denn dann geht es richtig zur Sache!
Um die Wartezeit sinnvoll zu überbrücken, empfehle ich Ihnen das Bilderbuch auf der Homepage von Biebl & Söhne – ein ganz entzückendes Album, das dem interessierten Kunden dort völlig unentgeltlich präsentiert wird.
Einen erfreulichen Dienstagabend und eine ebensolche weitere Woche wünscht Ihnen –
Ihre Kraulquappe.
uff!
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also mit Kammerjägern hatte ich auch gerade Kontakt. Bei mir wohnt(e) eine Maus auf dem Balkon. Obwohl es hier nix für Mäuse zu fressen gibt. Und da ich weder Fenster (die kann reinklettern) aufmachen konnte noch Lust auf ihre Freunde und Familie hatte (schleppen die an), mussten wir agieren. 😓 Bleib tapfer!
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Hui! Und diese Jäger waren erfolgreich? Ging das denn ohne Brutalität und Chemie ab, wenn ich fragen darf?
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naja…sie wird Gift gefressen haben (habe nachgefragt, soll schmerzfrei sein, sonst dürften sie das nicht auslegen). Bisher (seit 2 Wochen) nicht wieder aufgetaucht. Allerdings klettern die gern in der Innenfassade hoch und bleiben bei mir wohnen (mir gefällt es hier ja auch), das ist jetzt das dritte Mal 🙁
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Bei uns übernehmen das die Katzen. Eiweißspielzeug 🙂
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Sieh einer an! Die fressen das?
Ich frag mal das Dackelfräulein, aber ich fürchte, so ein geruchsarmes Kleinzeug interessiert sie nicht.
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Hab da gerade so eine Idee… könntest Du bitte Deinen Kammerjäger fragen, ob man diese Völker einfach chemiearm umsiedeln kann? Vielleicht direkt ins schöne brandenburgische Land hinter meinen Gartenzaun? Hier ist es ebenso trocken wie an/in Deiner Badwand. Vielleicht fühlt sich das Völkchen ja wohl in der Nähe von Erbsen? 😉
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Gern frag ich den IPM-Beauftragten, wenn er denn mal leibhaftig hier aufkreuzt, ob er das durch unser neues Bad pilgernde Pack ins Brandenburgische entsenden kann. Aber nur, falls er sie nicht direkt in die WG über uns einschleusen kann, mit denen wir ja auch jenseits des Wasserschadens noch andere erfreuliche Kontakte hatten.
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Och… ich vermute, dann wird es wohl nichts für mich… dann bekommen sie bestimmt eher den für sie näher liegenden Lebensraum. Aber vielleicht gibt es ja auch solche Verschicke-Völkchen… so wie Bienen. Ich würde es mir ggfs. auch abholen wegen der persönlichen Ansprache…
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Lass Dich nicht vergiften. Vor dem Einsatz genau abfragen. Vielleicht gibt es auch eine Wärmebehandlung. Bin gespannt auf Deine Story.
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Klaro! Als versierte Allergikerin sind meine Antennen da gut geschärft.
Bin auch schon gespannt auf meine Story 🙂
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Ich finde, für die Makroaufnahmen für die Firmenwebseite hätte sich die Firma Biebl & Söhne schon ein besseres Objektiv leisten können. So wird das nix mit dem Saubermann-Image.
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Du als Profi kannst das natürlich besser beurteilen, aber selbst mir fiel auf, dass die Pharaoameise und die kupferrote Dörrobstmotte ein wenig verschwommen rüberkommen.
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Ja genau. Und so gelbstichig.
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Die Terminologie neu erschlossener Fachgebiete ist doch immer wieder faszinierend. Ich hoffe übrigens, die Biester benutzen ihre eigenen Zahnbürsten.
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Die haben anfangs tatsächlich Versuche unternommen, auf unsere Zahnbürsten zu klettern, aber ich putze zwischenzeitlich in der Küche über dem Spülbecken meine Zähne (nicht nur aus Ekelgründen, sondern auch, weil meine elektrische Zahnbürste Strom braucht und die Dreifachsteckdose ja derzeit abgeklebt ist, um einen der Verbergungsräume abzudichten).
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Tja, wenn ich das richtig verstehe gibt’s also in Zukunft im Kraulquappen-Domizil keine Serien-Abende mehr mit Thriller oder Mystery, sondern Eure ganz private „Psocoptera Lindenstraße“, die den Soziologen-Gatten sicher genauso fesselt wie Dich, liebe Natascha … 😉
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Wie es hier weitergeht, das bleibt abzuwarten, lieber Spike – morgen Früh kommt nun einer der Bieblsöhne vorbei, zur Kammerjagd. Der Gatte weilt dieser Tage in Frankfurt, versäumt also das Highlight der Woche. (Zugegebenermaßen gehe ich aktuell ein klein wenig auf dem Zahnfleisch, mal sehen, was der morgige Tag so bringt. Werde berichten.)
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Sehr schön und interessant, die zoologische Beschreibung der Staublaus! Ich hatte früher mal so etwas wie eine Spinnenphobie, die inzwischen einem ziemlich uneingeschränkten Interesse an allem, was kreucht und fleucht (oder grünt und blüht) gewichen ist. Tja, das Altern hat auch seine Vorteile! 😉
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