Falls Sie auch das Glück haben, einen Hund in Ihr Leben aufgenommen zu haben, werden Sie Folgendes mit Sicherheit kennen: Es ist ein regnerischer, trüber und kühler Tag, an dem Sie null Lust haben, einen Fuß (oder gar zwei) vor die Tür zu setzen. Nach nichts verlangt es Sie mehr, als den Großteil des Tages mit guter Musik oder Lektüre (oder beidem) auf der Couch herumzulümmeln. Aber das geht nicht, weil Sie heute ehegattensplittingbedingt die Arschkarte gezogen haben und „dran“ sind, d.h. derjenige sind, der mit dem Hund raus darf muss.

Routenplanung mit nachträglich eingefügtem gelben Pfeil zur Kenntlichmachung des kulinarischen Highlights.

Sie raffen sich also unter größten Mühen auf, kleiden sich wettergerecht und überwinden sich sogar, mit dem Tier ein Stück hinauszufahren, obwohl es hoch unwahrscheinlich ist, dass es 25 Kilometer südlich der Stadt weniger unwirtlich ist, aber zumindest können Sie dann dieses verregnete Qualprogramm musikalisch ein bisschen umrahmen. Von Dylans neuestem Genäsel beschallt fahren Sie dann Richtung Starnberger See, die Scheibenwischer haben trotz Dauereinsatz nur den Regen, nicht aber Ihre Granaten-Unlust wegwischen können. Sie parken, ziehen sich die Kapuze über den Kopf und treten ins klitschnasse Laub.

Und plötzlich, während Sie so Gassi gehen mit Ihrem Hund und Ihrem Grant, da wendet sich das Blatt und Ihr gerade noch als so unsäglich trostlos und mühevoll empfundenes Regentaghundebesitzerschicksal erstrahlt unerwartet in neuem Licht und Glanze.

Denn nicht nur die ausgewählte Spazierrunde ist viel schöner als gedacht, weil Sie neue Orte und Wege entdecken, sondern auch das Wetter berappelt sich während der sechs Kilometer allmählich, unterwegs verstehen Sie sich außerdem faszinierend wortlos gut mit Ihrem Vierbeiner und dann läuft Ihnen auch noch ein Zwetschgenfleckerl über den Weg, Menschen hingegen treffen Sie fast gar keine, bloß ein paar andere Gassigeher, so dass Sie die herrliche Herbstkulisse am Seeufer mehr oder weniger für sich alleine haben.

Nach drei Stunden ist schier die ganze vormals so graue und grässliche Samstagswelt zu einem kleinen Paradies mutiert und Sie (mal wieder) zum glücklichsten Mensch Hundebesitzer unter der oberbayerischen Oktobersonne.

Der Gatte, dieser Glückspilz, hat am heutigen Sonntag Gassidienst – und natürlich scheint seit dem frühen Morgen unentwegt die Sonne. Die Stimmung im Rudel ist also gleich viel heiterer als gestern, wobei dazu auch andere Einflüsse beigetragen haben mögen, wie beispielsweise das gestrige 5:0 gegen die Eintracht oder der zufällig bei der Frühstückslektüre wiederentdeckte Cartoon mit dem Titel „Die Zeitumstellung – der Jetlag des Proletariats“ (was mich an einen wunderbaren Satz zum selben Thema aus einem Roman von Christoph Hein erinnert, ich muss das umgehend nachschlagen, sobald ich proletarisch ausgekichert und die Winterzeit verinnerlicht habe).

Der Zeitumstellungs-Gag wird gegen Mittag von einem anderen Witz übertrumpft. Weil ich meine hundefreie Zeit ebenso nutzen möchte wie das tolle Wetter, beschließe ich, ein bisschen mit dem Rad durch die Stadt zu fahren (eine Unternehmung, die mit Hund unmöglich ist, weil der Hund davon nix hat und man selbst auch nicht), mir vielleicht ein Sonnenplätzchen in einem Café zu suchen (falls nicht zu viel los ist), oder mich irgendwo auf einer Parkbank niederzulassen (und dort ein Getränk zu genießen). Als ich meine Schuhe anziehe, fragt mich der Gatte, seinerseits auch gerade im Aufbruch (zu seinem Glückspilzgassi) begriffen, ob ich denn nachher wieder zuhause sei, wenn das Dackelfräulein und er zurückkämen oder ob ich länger unterwegs wäre. „Ich bin mit dem Rad weg und setz‘ mich mal irgendwo hin, um über mein Leben nachzudenken“, antworte ich ihm. „Achso, na dann bist du ja spätestens in einer Stunde wieder daheim!„, kommentiert er ohne Umschweife, und ich muss sofort schallend lachen über diese seine Bemerkung, wir verabschieden uns folglich froh und heiter voneinander und jeder entschwindet in seinen Nachmittag.

Erst einige Zeit später, auf der Parkbank sitzend und über mein Leben nachdenkend (bzw. nachgedacht habend), frage ich mich, ob mein Spontangelächter wirklich die adäquate Entgegenung war. Bin ich etwa jemand, der tatsächlich in der Dauer des Kurzreinigungsprogramms der Geschirrspülmaschine über sein Leben nachzudenken imstande ist? Oder braucht’s dafür nicht eher eine mindestens einwöchige Klausur in der Abgeschiedenheit der Berge? Oder genügt mir am Ende gar das halbe Stündchen auf der sonnigen Bank, in dem die leichte Weiße getrunken, den Eichhörnchen beim treehopping zugeguckt und die Feststellung gemacht wurde, dass das Leben, zumindest heute, völlig unbegrübelt ein recht gutes ist?

Apropos Parkbank und Nachdenken – schließen möchte ich für heute mit der Schilderung eines der vielen Phänomene, die ich immer wieder beobachte und intensiv bedenke, aber beim besten Willen nicht verstehe: Als ich mich auf der Bank niederlasse, entdecke ich zu meinen Füßen eine rote Tüte. Es handelt sich um ein erfolgreich befülltes (und sogar erfolgreich zugeknotetes!) Gassisackerl. Es liegt da. Auf dem Boden, unter der Bank. Und nur einen Meter neben der Parkbank steht ein Mülleimer. Was ist da schiefgelaufen, frage ich mich, wie um alles in der Welt kann das passieren? Dieses absurde Phänomen, das übrigens weit weniger selten auftritt als der Vernunftbegabte nun vielleicht meinen möchte, beschert mir manchmal erheblich mehr Grübelzeit als mein Leben.

19 Kommentare zu “Hund haben (22).

  1. Hach, der Bootsverleih! 🙂

    Nachdenken übers Leben: Das ist die Frage, ob man nicht auch in der einwöchigen Einöde in einstündigen Intervallen nachdenkt. Vielleicht hat der Ehegatte das im Blick gehabt.

    Und das Gassisackerl: Liegt in der Tat häufig am Wegesrand (resp. auf dem Trottoir), nah oder fern dafür vorgesehener Wegwerfmöglichkeiten. Ich habs mir bisher so erklärt: Man sammelt ein, der Hund zerrt weiter, man hat noch Schirm oder Tasche oder whatever und das Sackerl fällt zu Boden und entschwindet in gleicher Sekunde aus dem Kurzzeitgedächtnis. Mit dieser Erklärung bleibe ich im Einklang mit der positiven Sicht auf all die Hundebesitzer, die überhaupt Sackerl benutzen.

    Gefällt 2 Personen

    • Ein Bootsverleih noch dazu, dessen Name wie geschaffen ist für den Bootsverleiher (der ja, wenn es denn ein echter und wahrer Vertreter seiner Zunft ist, ein Ungustl sein muss). Das Café trägt denselben Namen. Unbedingt ein Tipp, falls Sie mal in Leoni sein sollten (auch mit Hund wunderbar dort).
      Was Ihre Anmerkungen zum Nachdenken übers Leben angeht: Hab ich sofort in meine Cogitanda fürs nächste einstündige Nachdenkintervall aufgenommen. Werde berichten!
      Zu der Gassisackerlsache: Sie Menschenfreund! Ich attestierte den Tätern bislang insgeheim grobe Faulheit (wenn unmittelbar kein Mülleimer in der Nähe war) oder einen geistigen Horizont, der nicht von der Wand bis zur Tapete reicht („…tritt wenigstens keiner rein, wenn ich das Häufchen einpacke…“, oder so ähnlich).

      Gefällt 2 Personen

      • Peter Teuschel

        Dann wären diese Ihre Gassisackerlverweigerer die Analogie zu den Mitmenschen, die streng darauf bedacht sind, ihr Kinn vor dem Eintritt von Viren durch eine dortselbst platzierte Maske zu schützen? Ich verstehe, was Sie meinen …

        Gefällt 2 Personen

      • Genau.
        Oder auch die, die Ihren Kehlkopf oder Ellbogen vor dem Eintritt von Viren bewahren möchten. Diese übertriebenen Virenpaniker treten ja in vielerlei Erscheinungsformen auf.

        Gefällt 1 Person

      • In vor-pandemischen Zeiten waren das die, die mit dem motorisierten Zweirad unterwegs das Risiko, sich in einer Links-, oder je nach Veranlagung auch Rechtskurve den Ellbogen aufzuschürfen größer und schwerwiegender einschätzten, als sich beim unfreiwilligen Absteigen an einem Hindernis das Hirn einzurennen – wobei sie nie so konsequent waren, auch den anderen Ellbogen entsprechend mit einem Zweithelm zu schützen 😉

        Ein lieber Abendgruß!
        Spike

        Gefällt 2 Personen

      • Prima Worte für ein prima Bild!

        Like

  2. Du hast in diesem kurzen Stündchen über diesen Deinen neuen Beitrag nachgedacht, nicht über Dein ganzes Leben… hast dabei an mich und meine überbordende Laubfreu(n)de, das großartige In-Szene-Setzen dieser grandiosen Herbstfarben gedacht. Ganz klar warst Du dabei in der praktischen Umsetzung auch sehr erfolgreich!!!

    Gefällt 2 Personen

    • Also: Bei dem Laubfoto hab ich tatsächlich an dich gedacht 🙂
      Über mein ganzes (!) Leben hab ich noch nie nachgedacht, das würde mich (von Jahr zu Jahr mehr!) überfordern 😉
      In dem kurzen Stündchen hab ich ein Falafel gegessen und ein leichtes Weißbier getrunken, den Eichhörnchen zugesehen (dabei übrigens auch kurz an dich gedacht und dass ich von dir das Wort „Kobel“ lernte), ca. 15 Minuten über einen kleinen (aktuellen) Aspekt meines Lebens nachgedacht und ca. 15 Minuten das Paar auf der Nachbarbank belauscht (ganz frisch zusammen, uneins über Corona, sehr interessant). Gebloggt hab ich erst im Anschluss (und ohne vorheriges Nachdenken), als ich wieder daheim war. Prost!

      Gefällt 1 Person

  3. Ach, das Leben meldet sich schon selber, wenn es findet, dass über es nachgedacht werden soll. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Ist ein wunderschöner Beitrag. „Der Jetlag des Proletariats“ 😀

    Gefällt 2 Personen

    • Das haben Sie schön gesagt, liebe Frau Frogg. So sehe ich das auch, dass das Leben sich dann schon meldet. Heute war es ein winziger Teilaspekt, über den ich gezielt nachdenken wollte, mir kam aber spontan nicht allzu viel in den Sinn bzw. die Eichhörnchen dazwischen. Und dann nehm ich’s auch so, wie’s kommt 🙂
      Den Cartoon finden Sie hier: http://www.oli-hilbring.de/blog/2015/03/28/eine-stunde-vor-oder/
      Wünsche Ihnen ebenfalls ein gutes Arrangieren mit dem Jetlag, und wenn’s hakt, nehmen Sie vielleicht einfach einen Willi oder ein Zwetschgenstamperl zu sich (habe mich heut an Ihrem Beitrag über die Anti-Corona-Tröpfchen erfreut).
      Herzliche Grüße aus München in die Schweiz!

      Like

  4. Ich liebe Spaziergänge durch den Regen, gerade weil man dann nur wenigen begegnet.
    Ihr Erlebnis mit dem Kackebeutelchen ist bezeichnend für unsere Zeit, darüber hätte ich auch gebloggt. Regelimmunität und so.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..