Gedacht Gelaufen Getan Gewartet Gewundert

Pandemic Peaks oder: Bedeutungslose Berge in Bayern.

Die Einschläge kommen näher.
Jemand, mit dem der Gatte in einer präsenzerfordernden Besprechung saß (mit großem Abstand zu allen Teilnehmern und mit offenen Fenstern), ruft an und teilt mit, er sei positiv getestet worden und befände sich nun mit leichten Covid-19-Symptomen in Isolation. Öha!
Nach einer Schrecksekunde beschließen wir, die empfohlene Quarantänedauer durch einen Corona-Test (hoffentlich) abzukürzen.

Top organisiert, dieser Test-Termin, null Wartezeit, zumindest wenn man zu Fuß hingeht, ein bisschen spooky zwar, dieses zweckentfremdete Bierzelt, aber mei.

Bis zum Testergebnis werden wir nun niemanden mehr treffen.
Und suchen nur noch Orte auf, an denen auch uns niemand mehr treffen kann.
Das macht uns zum einen nicht viel aus, da wir ja auch sonst mal gern ein paar Tage lang recht abgeschottet leben und arbeiten.
Zum anderen sind wir Anhänger des pandemischen Imperativs, den Herr Drosten in seiner Schillerrede verkündet hat: „Handle in einer Pandemie stets so, als seist du selbst positiv getestet, und dein Gegenüber gehörte einer Risikogruppe an„.

Angst haben wir keine. Vermutlich wird einem das in den nächsten Monaten noch öfter so ergehen, dass sich im Umfeld jemand infiziert hat und einen darüber informiert.
Überhaupt ist das mit der Angst ja einer der interessantesten psychologischen Aspekte (und Argumente) in dieser Pandemie. Die Querdenker unterstellen den Geradeausdenkern immerzu Angst (im Sinne eines von der perfiden Regierung und dem teuflischen Drosten angeworfenen Motors, der uns antreibt, ebenso blind wie verschreckt einem diktatorischen Ruf in unseren eigenen Untergang zu folgen, wenn wir nicht endlich – so wie sie – quer statt geradeaus denken und „die Wahrheit“ hinter all dem Raunen hören/sehen/erkennen. Die Geradeausdenker hingegen attestieren den Querdenkern ebenfalls von Angst getrieben zu sein (weshalb sonst würden die den diversen Gurus oder dem Geschwurbel, das auf diesen Gottesdiensten Versammlungen verkündet wird, folgen und diese einfachen „Lösungen“ oder Parolen weiterbeten glauben). Besonders bemerkenswert finde ich, dass beide Lager auf die eine oder andere Weise felsenfest von sich behaupten, keinerlei Ängste zu haben.
Bei Gelegenheit werde ich mich darüber vielleicht mal ausführlicher und differenzierter auslassen, vor allem über den feinen Unterschied zwischen „Panikmache“ und „Information“.

Die Quarantänetage nutze ich, um den Balkon endlich winterfest zu machen, Gugelhupf zu backen und zu essen, die Ablagestapel der letzten Wochen abzutragen und das Forschungsprojekt KoCo19 (unter dem Link finden Sie meinen Blogbeitrag zum Studienbeginn) in seinem Fortgang zu unterstützen.
Sie erinnern sich bestimmt: wir gehören zu den 3.000 zufällig ausgewählten Münchner Haushalten, denen das Tropenmedizinische Institut der LMU (die verlinkte Seite offenbart Ihnen u.a. spannende Einblicke in unser Esszimmer) im Rahmen eines großen Corona-Forschungsprojekts Blut und Informationen abzapft.
Erfreulich ist, dass in Phase II des Projekts das Blut nicht mehr aus der Vene entnommen werden muss, sondern man das nun ganz entspannt und ohne den dreiköpfigen Test-Trupp um einen herum eigenständig erledigen kann, nachdem man das Anleitungsvideo studiert hat (das Filmchen hat mich sprachlich begeistert und mir ein neues Lieblingswort beschert: „die Fingerbeere“).

Da das Dackelfräulein auch in Quarantänezeiten hinausmuss, schleichen wir uns maskiert zum Auto und fahren unmaskiert in das schöne und dank Herbstferienende nun endlich wieder halbwegs leere Voralpenland.

Alle bekannten Wanderparkplätze, Wege und Berge werden gemieden, und dabei kommt dann halt auch mal so ein schräges Vorhaben wie das heutige raus.
Als bekennender Zahlenfetischist (nein, nicht von Fallzahlen, sondern von Jubiläen, Geburtstagen und anderen wichtigen Daten) bin ich schon länger auf der Suche nach einem Berg, zu dessen Gipfel ich entweder genau 1.307m hinaufsteigen kann oder der exakt 1.307m hoch ist. Und heute Morgen, beim Studium des Kartenmaterials, entdeckte ich ihn. Sogar in der Gegend, in die ich sowieso gern fahren wollte. Er heißt der oder das Schwarzbergel und befindet sich im Tölzer Land.

Ich (= blauer GPS-Signalpunkt) auf dem 1.307m hohen Schwarzbergel.

Betrachten Sie dieses alpine Ziel übrigens ausnahmsweise einmal explizit nicht als Wanderempfehlung, außer Sie sind Förster, Fährtensucher oder warten auch gerade auf Ihr Testergebnis und müssen dennoch mit dem Hund raus.
Denn das Schwarzbergel lohnt sich nicht. Keine Aussicht, kein Rastplatz, kein Gipfelkreuz, nur ein schnöder Stein markiert den höchsten Punkt.

Der 6,5 km lange und immerhin 640 Höhenmeter überwindende Aufstieg ist zur Hälfte weder ausgeschildert noch instinktiv auffindbar. Ohne GPS-Signal finden Sie den Gipfel garantiert nicht und selbst mit Signal ist er des Gefundenwerdens nicht wert.
Nicht einmal Einheimsiche kennen ihn, wie ich bei der einzigen Begegnung des Tages feststellen durfte („Gehst aufn Geierstein auffi?“ – „Nein, ich gehe aufs Schwarzbergel.“ – „So an Berg gibts hier ned.“ – „Doch, in meiner Karte gibt’s den.“).

Als wir nach einigem schweißtreibenden Hin und Her das Schwarzbergel samt Gipfel schließlich gefunden haben, blinzle ich an einen halb abgeknickten Baum gelehnt ich in die Sonne, esse meine Semmel, trinke meinen Tee und klemme dem Fräulein ihren heiß ersehnten Futternapf in eine Lücke zwischen zwei Tannenstümpfen.
Das ist also ein Lieblingszahl-Berg. Tja. Dass er gar so unscheinbar sein würde, hätte ich nicht gedacht.

Macht nichts, die Bewegung tut trotzdem gut und Ruhe hat man hier auch und beim nächsten Versuch mit einem 1307er probiere ich wohl besser die Variante aus, bei der die Zahl sich auf die zurückzulegenden Höhenmeter bezieht und nicht auf die Höhe des Berges.

Beim Abstieg machen wir noch einen Schlenker hinüber zum Geierstein, auf richtigen Wegen und sogar von Schildern und neugierigen Blicken begleitet.

Die Entschädigung für all das Unspektakuläre kommt ganz zum Schluss – und dann aber knüppeldick.

Was für eine Stimmung, was für ein Panorama, was für ein Sonnenuntergang!

Freuen Sie sich schon heute auf eine weitere Folge der neuen Serie „Pandemic Peaks – bedeutungslose Berge in Bayern“, wir werden solche Unternehmungen in nächster Zeit nämlich fortsetzen und uns lockdowngemäß weitgehend von den Mitmenschen fernhalten, obwohl soeben das negative Testergebnis eingetrudelt ist und man ja nun wieder auf normalen Wegen wandeln dürfte.

25 Kommentare zu “Pandemic Peaks oder: Bedeutungslose Berge in Bayern.

  1. Oh mir gefällt, was ich da sehe und erinnert mich an schöne Urlaubstage… 😍

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    • Na das freut mich, dass du dich gern an die Gegend erinnerst! Ist ja auch superschön und in jedem Fall einen zweiten Besuch wert 😉

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    • bobbygoodluckjean

      Als ich den Namen Drosten las, musste ich aufhören mit Lesen. Kann mir das und den irgendwie nicht mehr antun.
      Aber er versteht es, sich gut und gescheit auszudrücken und Anfang des Jahres habe auch ich ihm noch gebannt in seinem Podcast zugehört.
      Schon seit langem denke ich über ihn komplett anders. In meinen Augen ist er ein Nerd – ein Nerd im Schafspelz.

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  2. Hallo Natascha,
    wie Du am Anfang der Story einen Verdacht streust, eine Angst weckst und schlussendlich wieder auflösen kannst. –
    Unsere Nürnberger Nachrichten hatten im Stadtanzeiger am Samstag eine nette Dackel-Story mit Herrchen und vermeldeten den Schreibwettbewerb des hiesigen Dachshund-Clubs. Es wird wohl nicht unmittelbar einträglich sein für Dich, gleichwohl womöglich netzwerkerisch interessant: Preis für schöne Dackel-Geschichten:
    https://www.dcn-nuernberg.de/
    Gute Wünsche für Gesundheit und Wohlergehen
    und schöne Grüße
    Bernd

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    • Grüß Dich, Bernd, grad hab ich die Zeit gefunden und mir den Link zu Gemüte geführt – ja, da könnte ich was beisteuern, auch ganz ohne goldene Knochen dafür zu ernten. Vielen Dank dafür und auch für deine Wünsche.
      Herzliche Grüße nach Nürnberg,
      Natascha

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  3. Geschichten und Meer

    Bedeutungslose Berge sind wenigstens nicht überfüllt. Das senkt die Ansteckungsgefahr. (Ja, ich gehöre auch zu den „Vorsichtigen“. Man muss nicht in Panik verfallen, aber für meinen Geschmack weiß man immer noch zu wenig über das / den Virus, also: better be safe than sorry.)

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    • Genau deshalb grasen wir nun auch solche Ziele ab. Und bleiben an Wochenenden im Stadtradius, so gut das mit Hund halt geht (der Spaziergeh-, Jogging- und Radfahrwahnsinn ist ja auch wieder heftig im Gange).

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  4. schliesse mich dem Vorredner an: better safe than sorry. Wünsche Euch Gesundheit und weiterhin schöne Wanderungen

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    • Danke dir!
      Darf ich fragen, wie es dir geht, nach den ersten 9 Tagen „ohne“?
      Liebe Grüße nach Hamburg!

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      • fürchterlich!!!!! ich falle in eine Lethargie…wäre ich nicht durch die Erkältung angezählt, hätte ich am WE schwimmen (!) gehen können. Eine ehem. Kollegin hat eine 10-Meter-Bahn im Garten…leider etwas ausserhalb Hamburgs, aber immerhin 🤧

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      • Oh, na hoffentlich kommst du um die Erkältung rum (oder bald drüber weg) und kannst die 10m-Bahn demnächst mal austesten… (arg kurz, aber als Notbehelf tut’s das natürlich auch mal)
        Leider gibt’s in meinem Bekanntenkreis niemanden mit Pool (geschweige denn mit Seegrundstück), aber ich denke immer mal wieder über die Neoprenanzugsache nach. Derzeit geht’s noch bei mir, behelfe mir derweil mit Bergsport, Laufen, Gassigehen und Kuchenessen, erfahrungsgemäß wird es nach 2 Wochen Entzug dann schlimmer. Leider sagt mir mein Gefühl, dass es dieses Jahr nix mehr wird mit Schwimmen, was meinst du?

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      • ich befürchte das auch 🤨 mit dem Neopren liebäugel ich auch, die Elbe ist direkt vor der Tür (aber auch nicht ungefährlich). Oder ich traue mich mal, im Nachbarhaus zu fragen, die haben einen Pool (leider kenne ich dort niemanden) 🤔

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  5. Sehr schönes, entschädigendes „Von-unten-Panorama“! Weiß man vorher eben nie. – Sind dackelfreundliche Gipfelkreuze evtl. eine Marktlücke? – Glückwunsch zum Negativtest; wir hatten auch gerade erst gespanntes, dann aber glücklich aufgelöstes Warten. – Gruß von der novembertrüben Ostseeküste!

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    • Herzliche Grüße zurück!
      Tja, da wird man sich nun ein Stück weit dran gewöhnen müssen, dass solche Testereien/Quarantänen gelegentlich auf einen zukommen können. Freut mich, dass es bei euch auch gut ausging!
      Über die Marktlücke denk ich bei der nächsten Bedeutungslose-Berge-Tour mal nach.
      Viele Grüße aus München!

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  6. Naja, wenn ich Herrn Drosten wörtlich nähme, dürfte ich die Wohnung nicht mehr verlassen, aber wenn man’s salopp übersetzt mit „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, geh ich mit ihm vollkommen konform … vorausschauende Rücksicht – so paradox das klingen mag – ist hier der zurückschauenden Einsicht definitiv vorzuziehen … 😉
    … wobei ich dem zukünftigen Ex-Präsidenten der USA weder das eine noch das andere attestieren kann …

    Ich wünsche weitere, ab jetzt durchweg positive Aha-Erlebnisse bei den Fortsetzungen der Reihe mit den unbedeutenden Bergen!

    Beste Grüße vom Rand des Schwarzwalds,
    Spike

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    • Hast du genial ausgedrückt, ganz genau: „vorausschauende Rücksicht“ ist das Gebot der Stunde, und wir legen den pandemischen Imperativ auch mehr so porzellankistenmäßig aus, aber ich denke mal, wenn das jeder in etwa auf diese Weise ernst nähme, wäre schon viel gewonnen (der Blick aus dem Fenster – Wiesn-Demos etc., du weißt schon – sagt leider anderes, und der Blick in die Nachrichten ja leider auch).
      Beste Grüße aus München-Mitte zurück und schönen Abend noch!

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  7. Warum ausgerechnet 1307?

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  8. Pingback: But it’s so hard to dance that way when it’s cold and there’s no music. | Kraulquappe

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