Stabiler Stimmungseinbruch mit zeitweisen Zwischenhochs.
So in etwa ließen sich die anderthalb Wochen seit dem letzten längeren Eintrag hier zusammenfassen.

Die Pandemie hat nach neunmonatiger Tragzeit nicht nur einen zweiten Lockdown geboren, sondern auch zu etlichen Zerwürfnissen geführt. Menschen, die einem nahe waren, sind plötzlich fern (und umgekehrt), die einen glauben dies, die anderen das, manche nehmen die Maßnahmen ernst, andere handhaben es eher locker, allzu genau kann man es oft schon gar nicht mehr einschätzen, weil man sich ja seltener oder gar nicht mehr sieht (und Telefonate oder Emails sind auf Dauer nicht dasselbe wie echte Begegnungen).
Ein Teil dieser Differenzen lässt sich nicht mehr mit diesem Mix aus Milde und Leichtigkeit ignorieren, den ich mir als Studentin in den Neunzigern gestattete, als mein damaliger bester Freund sich um ein Stipendium bei der Adenauer-Stiftung beworben und sich politisch entsprechend positioniert hatte, ansonsten aber noch ganz der war, als den ich ihn kennengelernt hatte. Da stichelte man manchmal herum, diskutierte sich die Ohren heiß oder umschiffte elegant ein paar heiklere Themen (oder rettete sich auf das Terrain des Humors), wandte sich aber überwiegend dem zu, was miteinander gut ging und schön war: Konzerte, Theater, Literatur, Kneipenbesuche, Spaziergänge, Weinfeste, Spieleabende mit Freunden.
Und nun?
Nun praktizieren wir Kontaktreduzierung, und das noch dazu in kulturreduzierter Form, d.h. ohne einen Großteil der gewohnten Lokalitäten und Inspirationsquellen. In diesem reduzierten (Er-)Lebensraum (unter dem der eine mehr, der andere weniger leidet) scheiden sich nun die Geister an Corona, und sie tun es heftig, und ich fürchte, es wird noch heftiger werden.
Die Frau eines langjährigen Freundes versinkt immer tiefer im Verschwörungskosmos (und der Freund verzweifelt allmählich), ein anderer Freund teilt polternd mit, er halte von diesem Drosten rein gar nichts (und hüllt sich auf meine Frage nach dem Warum nachhaltig in Schweigen), ein dritter lässt durchblicken, dass er das Buch von Bhakdi quer(! 🙂 !)gelesen habe und da durchaus was dran sein könne (man müsse halt offen sein und nicht immer nur Mainstreammedien… usw. – na, Sie wissen schon).
Im Supermarkt kriegen sich die Leute in die Haare (Gänge zu schmal, Eile zu groß), im Mietshaus verschärft sich das Müllproblem (Tonne zu klein, Amazonkartonmenge zu groß), in der Blognachbarschaft geht das Gekeife los, sobald ein Blogbeitrag klar Position bezieht (Hirn zu klein, Goschn zu groß – was man halt wechselseitig so voneinander behauptet, wenn man intensiver über Corona zu sprechen versucht und die Meinungen diametral auseinander liegen).
Mehr und mehr mache ich die Schotten dicht.
Bin des Diskutierens müde, bin überhaupt ständig müde. Pflege meine beiden Jenseits-des-eigenen-Haushalts-Kontakte, überwiegend im Freien, wenn es denn nicht zu bitterkalt ist da draußen.
Igel mich ein mit dem Gatten und dem Dackelfräulein und meinem neuen Gefährten, dem Akkordeon.
Ein so wunderbares Instrument! Und es liegt genau dort auf, wo ich wohne, am Solarplexus, der einzigen Körperstelle, an der ich das, was man gemeinhin das „Ich“ nennt, am deutlichsten ehesten spüre (andere Ichs wohnen wohl eher im Kopf oder im Bauch, wie man so hört) und ich bin sicher, dass das mit ein Grund war, der mich genau zu diesem Instrument greifen ließ.
Mein erstes Etappenziel – bis Weihnachten das Mietshaus mit „Jingle Bells“ zu beschallen (Süßer die Rächer nie klingen!)- ist bereits in greifbare Nähe gerückt und überhaupt empfinde ich oft reinste, kindliche Freude beim Üben dieser schlichten Lieder, die man rauf und runter spielen muss, um etwas Übung zu bekommen (nur manchmal nörgelt eine innere Stimme herum, schimpft mich einen kläglichen, unsäglichen Anfänger und lästert über meine langsamen Fortschritte).
Arme und Schulterpartie haben sich zwischenzeitlich einigermaßen an das Gewicht der Quetschn gewöhnt.
Dafür seit Neuestem seltsame Nierenschmerzen (so neu, dass es aktuell gut gelingt, noch nicht danach zu googeln, sondern auf plötzliches Verschwinden zu hoffen), übles nächtliches Ziehen in den Gelenken (ein Phänomen, das ich, neben anderem kleinen Körperkram, der Prämenopause zuordne, ein Begriff, der in meiner Wortwelt die unterste Sprosse einer Vokabelleiter markiert, deren letzte Sprossen dann mit Oberlippenfalten oder gar Oberlippenbart beschriftet sein werden), ein zunehmend verspannter Nacken (in Woche 5 ohne den geliebten Schwimmsport kein Wunder, und zu alternativen HWS-Lockerungsmaßnahmen hab ich mich noch nicht aufraffen können bzw. erhoffe hierzu Anleitung durch den hübsch Bewimperten) sowie eine Lippenherpesserie vom Feinsten (die kommt eindeutig vom regelmäßigen, längeren Maske-Tragen, eine Sache, deren Ausgang ich noch nicht weiter zu durchdenken wage, nachdem bislang bereits festzustellen ist: je mehr Maske, desto mehr Herpes, und je mehr Herpes, desto mehr Maske – ziemlich absurd, denn das pustelproduzierende und daher eigentlich negativ konnotierte Objekt erlangt schließlich eine positive Umdeutung insofern, als es das, was es lästigerweise hervorruft zugleich praktischerweise zu verbergen hilft -, bestimmt gibt’s auch schon ein kluges Fremdwort für dieses Paradoxon, leider kenn‘ ich es nicht, sollten Sie es kennen, lassen Sie’s mich unbedingt wissen!).
Im Internet hat der Aerosolrechner längst den Gehaltsrechner abgelöst, an den Rückspiegeln der Autos, in denen früher eklige Duftbäumchen baumelten, flattern nun speckige Mund-Nasen-Schutzmasken im Sichtfeld des Fahrers herum, es gibt keine Nachrichtensendung mehr, in der nicht irgendwann im Hintergrund der überdimensionierte, rot-gelb-orange-pink-violett (je nach Sender) gefärbte 3D-Kugelfisch seine Runden durchs Seuchengeschehen zieht.
Die eigene Tagesplanung orientiert sich an dem, was noch geht und daran, wie es derzeit zu gehen hat und wie es am besten (= am begegnungsfreiesten und sichersten) geht, plus all dem, was gehen muss, egal wie.
Die Fixierung der Corona-Politik auf die Weihnachtsfeiertage geht mir total auf den Senkel (vortrefflich zusammengefasst wurde mein Genervtsein in diesem Essay von Boris Herrmann).
Das mag ein Stück weit an meiner generellen Haltung zu Weihnachten liegen, aber wirklich nur ein Stück weit.
Vor allem habe ich wenig Lust, im Januar dafür zu büßen, dass andere die Festtage damit zugebracht haben, sich im täglichen Wechsel mit bis zu zehn anderen Haushalten zu umgeben (was freilich drinnen und ohne Abstände und Masken stattfinden wird, und dauerndes Lüften ist auch nicht, weil dem Christbaume sonst die Lichter ausgehen, sofern es nicht schnöde Elektrokerzen sind, die ihn zieren). An die zuvor empfohlene, mehrtägige Selbstquarantäne wird sich ohnehin kaum einer halten (können oder wollen, das sei mal dahingestellt), und vorgezogene Ferien befördern diese familiäre Klausur nach meinem Dafürhalten auch eher nicht.
So wird es wohl mit Sicherheit ein langer, unangenehmer Winter werden, an dessen Ende man froh sein kann, wenn ihn unbeschadet überstanden hat.
Flanieren in Feldafing. Besuch eines anderen Haushalts. Zwei Haushalte unter einer Decke. Eröffnung der Wintersaison. Dialog im Dackelstil. Coronafreie Zone. Plätzchenpause. Bettelorgie. Shiva und Pippa.
Um mich der Omnipräsenz des Virus zu entziehen, flüchte ich mich in die Natur, in die Bewegung, in Sprach-, Film- und Musikwelten, in die räumliche, akustische oder gedankliche Nähe zu vertrauten Menschen, in die Weihnachtsgeschenkbasteleien – und unter die Bettdecke.
Dort drücke ich den kleinen, warmen, ruhig atmenden Hund an mich und weine ein bisschen vor mich hin.
Vorgestern haben wir der Dackeldame mal wieder das allseits verhasste Körperpflegeprogramm angedeihen lassen: Augen, Ohren, Zähne, Haut, Fell und, weil sich’s anbietet, das bei der Gelegenheit gleich mit zu erledigen, auch ein kurzes Abtasten des Bauchraums.
Nicht, dass ich en detail wüsste, was ich da abtaste, was ich jedoch haargenau weiß, ist, was ich dort noch nicht ertastet habe, weil ja stets der Vergleich zur vorigen Untersuchung in den Fingerspitzen gespeichert ist (so ein Teckeltorso ist ja überschaubar).
Ein erbsengroßer, harter Knoten an der Milchleiste war da bisher jedenfalls noch nie. Der ist neu und auch der Gatte hat ihn sofort ertasten können (da deutlich größer als eine Staublaus, d.h. auch für ihn ohne Neonlicht, Lupe und viel gutes Zureden mühelos auffindbar).
In mancher Hinsicht bin ich ja durchaus ein zäher Knochen und auch psychisch halbwegs robust, was mir aber sofort den Boden unter den Füßen wegzieht, ist jedwede ernsthaftere Sorge um Pippa.
Drücken Sie uns daher gerne in stummer Anteilnahme die Daumen für Freitag, wenn wir den Knoten in der Tierklinik „abklären“ lassen, wie ich es mal ganz abgeklärt ausdrücken möchte, um mich schon ein wenig für diesen Termin zu präparieren, bei dem es sich nicht geziemt, tränenüberströmt ins Behandlungszimmer zu taumeln, weil ja schließlich ein Arztgespräch zu führen und das Dackelchen während der Untersuchung festzuhalten ist (und das Ergebnis auch nicht zwangsläufig existenzbedrohlich sein muss).
You’re a big girl now, ermahnt mich Sir Bob, während ich im Dunkeln durch den ersten Schnee in unserer Stadt nachhause fahre und mich so verwundbar fühle, und so klein.
With a pain that stops and starts
Like a corkscrew to my heart.
Bird on the horizon sitting on the fence
He’s singing his song for me at his own expense
And I’m just like that bird oh oh
Singing just for you
I hope that you can hear
Hear me singing through these tears.
Time is a jet plane it moves so fast
Oh but what a shame if all we’ve shared can’t last
I can change I swear oh oh
See what you can do
I can make it through
You can make it too.
Habe SOFORT mit dem Daumenhalten begonnen, und kann gut nachvollziehen, wie es dir geht, mir ging es immer so, wenn was mit einer meiner Katzen war. Fühle dich virtuell umarmt, sofern das für dich ok ist, wünsche dir frohe Tage und Nachrichten und hoffen wir, dass nicht die einen für die Blödheit und dem Egoismus der anderen büßen müssen. Die Hoffnung, soweit ich mich dunkel erinnere, soll ja bekanntlich zuletzt sterben, vermutlich mit dem letzten Herzschlag einer aufrichtig naiven Person (lt. Kant ja jemand, der Lüge und des Betrugs unfähiger Mensch … ich mag diese Definition irgendwie) …. Herzlich, Silvia aus dem Wienerwald.
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Dank dir, liebe Silvia, für diese herzliche Morgenbotschaft aus dem Wienerwald, mit Blick auf die verschneite Theresienwiese sende ich eine virtuelle Umarmung zurück!
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:)!
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Viel Glück am Freitag.
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Mir geht es wie Silvia, viel den Kopf genickt beim Lesen deiner Zeilen.
Es ist gerade eine seeehr seltsame Zeit …
Ein Böbbele am Bauch muss nicht immer etwas Böses sein!
Kopf hoch Pippa ⭐ ⭐ ⭐
HG vom Lu
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Alles Gute für Freitag!
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🙂 (doppelt hält natürlich besser, vielen Dank!)
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auch meine daumen sind fest gedrückt❣️❣️❣️
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Ein Pegadaumen! Dann muss das ja eigentlich ein gutes Ende haben!
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Danke für Deine Einblicke. So poetisch schön könnte ich meinen im Moment durchlebten Lebenszyklus nicht beschreiben. Zum Gross und Klein fällt mir immer ein Fussballer-Spruch ein obwohl ich dem Spiel nur wenig abgewinne: Die Tore zu gross die Bälle zu klein.
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Bitte, gern 🙂 und viele Grüße in die Hauptstadt!
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Daumen sind gedrückt!
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Lieben Dank.
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Das Bild der Vokabelleiter gefällt mir außerordentlich gut. Für die Oberlippenfalten las ich mal einen Fachbegriff bei Max Goldt, leider versäumte ich, ihn zu notieren.
Ihnen und dem Dackel alles Gute!
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Das freut mich, danke!
(Und nächstes Mal bitte unbedingt solch wichtige Fachbegriffe notieren!)
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Darf ich auf der Oberlippe das „Philtrum“ vermuten?
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Philtrum? Nie gehört! Ist das ansteckend? 😉
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Hm, keine Sorge, Kraulquappe,
dies ist kein Herpes oder sowas – eher im Gegenteil.
Das philtrum (lateinisch) oder philtron (griechisch), eigentlich „Liebeszauber“ nennt der Duden im Fremdwörterbuch „Einbuchtung in der Mitte der Oberlippe (Med.)“
Ist dies nicht fein formuliert auf Schriftdeutsch?
Gute Wünsche, viele Grüße
Bernd
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Ein kleines Lipömchen wäre keine Seltenheit. Wir drücken die Daumen und senden ganz herzliche Grüße und frische Igelschiete zum Einreiben ans Fräulein!
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Das ist auch meine Hoffnung, dass es nur ein Lipom ist, allerdings ist deren Beschaffenheit meist eine andere und die Stelle ist auch keine allzu typische, dennoch: setzen wir alles aufs Lipom!
Ich danke für deine Gedanken und Wünsche, schicke herzliche Grüße an dich und deine zwei Mädels zurück – und Pippa begrüßt es sehr, frische Igelschiete zum Feierabend zu erhalten!
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Welch schönes Bild der zwei Hauhalte unter einer Decke. Und Daumen- und Zehendrücken.
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Genau genommen befindet sich ja der Zweithaushalt eher auf als unter der Decke, aber mei, das verändert sich oft schneller als man gucken bzw. knipsen kann.
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Hei, toll, das mit dem Akkordeon! Es ist doch immer beflügelnd, etwas Neues zu lernen.
Bei mir ist der neue Gefährte ein Klavier. Im April bin ich mit Online-Kursen gestartet und weil ich bei Null angefangen habe, ist der gefühlte Zuwachs an Können hoch. 🙂 Leider sind die vom Klavier-Üben verursachten Genickschmerzen vom Feinsten, da ist stundenlanges am-Computer-Sitzen ein Dreck dagegen. Na ja, werden halt die Übungseinheiten von Lockerungsübungen umrahmt. Meine Begeisterung ist jedenfalls ungebrochen und ich wünsche auch Dir weiterhin viel Spaß beim Erobern musikalischen Neulands. 🙂
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