Gedacht Gefragt Gelaufen Geplant Gespürt Gestaunt Gesucht Gewundert

Fy og Bi oder: Pandemie-Pärchen.

Erinnern Sie sich noch an Pat und Patachon, das dänische Komikerduo aus der Stummfilmzeit? Fy og Bi hießen die zwei Helden auf Dänisch.
Dieser Tage muss ich ständig an die beiden denken, wenn irgendwo in den Medien wieder von den „Geimpften und Genesenen“ die Rede ist.

Die Geimpften und Genesenen, das klingt beinahe wie eine neue Gattung, wie eine ganz besondere Spezies, die da nun unaufhaltsam heranwächst, besser gesagt: herauswächst aus den Sümpfen und Schrecken dieser Seuchenzeit.
In ein paar Wochen gehören wir auch zu den Geimpften und Genesenen„, merkte der Gatte neulich beim Frühstück an, ich glaube, es war am Morgen nach seiner Vakzinverabreichung (die erfreulicherweise ein paar Tage nach meiner stattfand, so dass wir annähernd zeitgleich wieder in die Disco gehen können). Auf jeden Fall war es noch vor der Verkündung der Söderschen Speedöffnungsmatrix, die allen Bayern unter den Geimpften und Genesenen schon etwas früher als den meisten anderen Bundesbürgern das Joggen auch nach der Geisterstunde (und etliches andere) wieder zugesteht, weil das „psychologisch und auch seelisch“ wichtig sei (Zitat Söder, vergessen, wann und wo – vor lauter Spontanstaunen über diese hochdifferenzierte Ausdrucksweise konnte ich mir das wirklich nicht auch noch merken).

Eine Woche nach dem Erststich geht es mir zwar physisch ähnlich miserabel wie vorher (die Hüfte, der Nerv, das Knie und eigentlich auch der Rest des Gestells), was natürlich mit der Impfung nicht das Geringste zu tun hat, im Gegenteil. Der Pieks in den Oberarm sorgte für ein psychisches Zwischenhoch, dessen Ausläufer immer noch (und sogar jedem Aprilwetter und Körperschmerz zum Trotz) anhalten und sich beispielsweise in der äußerst beflügelnden Buchung eines Domizils in einem abgelegenen Bergtal niederschlugen, das ich mir schon lange mal ansehen und vor allem erlaufen wollte, und das nach dem Genuss bombastischer Bilderwelten der sehr gelungenen Kurz-Serie „Der Pass“ (inhaltlich allerdings mehr Alptraum als alpiner Traum) endgültig weit oben auf meiner Reiseliste gelandet war.

Eine Liste, die im Übrigen – wie ich immer wieder feststelle, wenn ich andere so reden höre von ihren vergangenen Urlaubserlebnissen oder künftigen Reisevorhaben – getrost unter „unspektakulär“ verbucht werden kann.
Was mir wurscht ist, aber sollte es mir eines Tages mal weniger wurscht sein, was ich mir schwer vorstellen kann (was aber nichts heißen muss, wie mich das bisherige Leben und aktuell auch das Seuchenjahr gelehrt haben), könnte ich mich zumindest noch damit brüsten, nahezu mein Leben lang nicht allzu klimaschädlich gereist zu sein.

Manch einer versaut sich ja den ökologischen Fußabdruck eines gesamten Jahres, in dem konsequent nachhaltig konsumiert wurde, allein durch seinen prozentualen Anteil am Kerosinausstoß des Fliegers, von dem er sich zu Expeditionen in andere Erdteile oder zum Chillen in sonnigere Gefilde befördern lässt (wobei dieser Fußabdruck freilich auch schon völlig fliegerlos, z.B. durch den unmäßigen Co2-Ausstoß einer in die Jahre gekommenen Spritschleuder, mit der dreimal die Woche zum Hofladen aufs Land gedüst wird, nur um sich dort mit regionalem Gemüse einzudecken, etwas ausfransen kann).

Bei der Autosache muss ich, nebenbei bemerkt, immer an B. denken: sehr gut verdienender Eigenheimbesitzer, ein Haus nach allen Regeln der Ökobauweisenkunst, Anbau von Obst und Gemüse im eigenen Gärtlein, bewusstes Einkaufen, noch bewusstere Ernährung, sündteure Zirbenholzmöbel und in allen Räumen eine Wandfarbe, die jegliche Art von Strahlung abschirmen soll. Urlaub nur in zertifizierten Bio-Hotels, Sonnenbäder nur mit hochpreisigen Sonnenschutzmitteln aus Kosmetik-Maufakturen, das gesundheitliche Schicksal überwiegend in den Händen von Heilpraktikern, deren Behandlungserfolge nicht halb so üppig ausfallen wie ihre Honorarnoten, aber Hauptsache, man begibt sich nicht in die Fänge der fragwürdigen Schulmediziner und der noch fragwürdigeren Pharma-Industrie.
Als Ausgleich für all diese Besonnenheit, Mühen und Investitionen wird in den Wintermonaten täglich mit dem immer noch staubfilterfreien, ach so heimeligen Kaminofen und im Sommer mit dem antiquierten Motorrad herumgeheizt und darüber hinaus ganzjährig ein Den-bringe-ich-schon-nochmal-durch-den-TÜV-Kombi gefahren, der mittlerweile satte 12 Liter schluckt und gruselige Abgaswerte hat. Wie passt das zusammen?

Neueste (Umwelt-)Sünde in Sachen Verkehrsmittel übrigens: der Bus-Boom. Gemeint ist nicht etwa das altbekannte Beförderungsmittel des öffentlichen Nahverkehrs, sondern das, was man früher Bulli und heutzutage Campervan nennt.
Etliche hospitalisierte Homeoffiziere und saturierte Seuchenfrustrierte schafften sich in den vergangenen Monaten ein solches Vehikel an, das nun die eh schon vollgeparkten Straßen unserer Städte noch mehr verstopft, Fußgängern und Radlern die Sicht raubt (je nach Modell ist so ein Campervan ja recht hoch und breit) und das ärgerlicherweise den Großteil des (Pandemie-)Jahres nur herumsteht, weil schließlich kaum einer regelmäßig Lust hat, in dieser Miniaturzweitwohnung mit Miniklo und Miniküche an verregneten Vorfrühlingswochenenden nur lächerliche 100 km von daheim entfernt herumzuwohnen bzw. dort auf ein paar Quadratmeter zusammengepfercht mit den Angehörigen des eigenen Hausstands seine Freizeit zu verbringen oder dem Landregen zu lauschen.
Aber genauso wie viele halt überwiegend um der vielen (und viel zu oft ungenutzten) Möglichkeiten willen (Kultur! Gastronomie! Sportstätten! Menschen! Flair! Leben!) in der Großstadt leben, haben jetzt eben auch einige so einen Campervan. Dessen Botschaft: man könnte, wenn man denn wollte, und dann ganz spontan und unabhängig von etwaigen Viren und Maßnahmen – allein der verbriefte Besitz dieses Konjunktivs macht einen irgendwie freier. Nicht nur im Kopf, sondern auch auf dem Konto, denn billig sind sie ja nicht, diese Fluchtfahrzeuge.

Es kann ja anderswo als beim Fuhrpark auf preiswerte Produkte geachtet und dadurch was gespart werden.
Erzählt neulich die Lebensgefährtin vom Papa während des Abendessens, dass die türkische Haushaltshilfe, die alle 14 Tage für vier Stunden das ganze Haus von oben bis unten säubert, sie um eine Stundenlohnerhöhung ersucht hätte. Wegen Corona. Weil ihr „Kunden“ abgesprungen wären, aus Angst vor Ansteckung, oder aufgrund finanzieller Engpässe. Oder einfach, weil wegen des wegfallenden Amüsements plötzlich Zeit da war, den eigenen Dreck mal selbst wegzukehren.
Statt 12 Euro pro Stunde hätte sie gern 13, doch nach Befragung anderer gut situierter Freundinnen mit Haushaltshilfen kam die Hausherrin schnell zu dem Schluss, dass das eine unangemesse Lohnsteigerung sei und womöglich die Preise in der Region ruinieren würde – wenn das Schule machte, ja, wo käme man denn da hin?
Mir bleibt vor Entsetzen fast der Gnoccho (oder wie auch immer der Singular dieser Italo-Kartoffelknödelchen heißt) im Hals stecken, ich schüttle energisch den Kopf und weise darauf hin, dass sie das pro Monat gerade mal 8 Euro mehr kosten würde, die ihr wirklich an keiner Ecke fehlten. Der Papa versinkt indes vor Scham in seinem Sessel und zwar gleichermaßen wegen der Sache, um die es geht als auch wegen seiner Feigheit, sich dem grotesken Geiz der Lebensgefährtin zu widersetzen.
Was ich denn denken würde, was so eine Putzfrau verdienen solle, fragt mich die Lebensgefährtin mit giftigem Unterton, woraufhin ich ihr von dem Jahr berichte, in dem ich dem Physikerfreund mit seinem Haushalt half, ebenfalls im zweiwöchigen Turnus, und für 50€ pro zweistündigem Einsatz.
Die Gesichtszüge entglitten ihr nach dieser Information ähnlich wie seinerzeit bei unserem Eierstreit, als sie erfuhr, dass wir allen Ernstes Eier kaufen, die im 6er-Pack um die 3€ kosten.
Unbegreiflich, all diese Verschwendung. Außerdem ist der Physikerfreund doch ebenfalls Schwabe, genau wie sie.
Tja, wo würde das bloß hinführen, wenn wir das Huhn frei laufen und scharren ließen vor dem Eierlegen oder einer Reinigungskraft für ihre (Schwarz-)Arbeit einen vernünftigen Lohn zahlten?

Der Unlogik und Unvernunft des homo sapiens sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt (oder eben exakt die der jeweils waltenden sapientia), wobei ich mich da überhaupt nicht ausklammere, schließlich verzehre auch ich nach wie vor mindestens 1x im Jahr ein Glas Nutella, weil mir keine dieser palmölfreien, hochwertigen Bionussnougatcremes auch nur annähernd so gut schmeckt wie das Original, auf das meine frühkindlichen Geschmacksnerven nun mal leider nachhaltig geprägt wurden, um hier nur einen der harmlosesten Fehltritte zu benennen, die meine ökologische Fußspur im Laufe eines Jahres auch nicht nach Geradlinigkeit, sondern eher nach Zickzackkurs aussehen lässt.

Einen Zickzackkurs beobachte ich derzeit auch beim Thema Impfen: den fast schon zu Tode zitierten „Impfneid“ gibt es ja tatsächlich!
Kaum berichtet man offenherzig von der eigenen Impfeinladung, schon meckern manche, die sich selbst in der Reihenfolge auf mindestens derselben Position wähnten, was das denn alles für ein Chaos sei mit der Terminvergabe und der Priorisierung, raunen was von Drängelei oder tun so, als sei ihnen die ganze Impferei ja ohnehin nicht geheuer, weshalb sie es auch gar nicht eilig hätten damit, um bereits tags drauf dann so beiläufig wie stolz zu verkünden, auch sie seien nun in Kürze „dran“.

Spannendste Neuentdeckung im Impfkontext: der neben dem Münchner Impfzentrum gelegene Messe-Park. Als wir den Gatten zu seinem Termin begleiten, schauen wir uns dort gleich nochmal gründlich um.
Leider hatte es zapfige 8 Grad an dem Tag, so dass wieder nix mit Schwimmen war.
Vielleicht klappt das beim Zweittermin in 5 Wochen, vielleicht ist bis dahin der See warm genug und der aktuell etwas abgewrackte Bewegungsapparat auch wieder beweglicher.

Und sonst so?

  • Der neue Geschirrspüler sorgt ebenso konstant für Freudenmomente wie die 90-minütigen Alpinismusdokus, die wir in der Mediathek entdecken.
    Ich notiere mir: Jamtalhütte bei Galtür. Der Hammer – da muss ich mal hin!
  • Seit Neuestem haben wir eine Passion fürs Filmen entwickelt: der Gatte zeichnet nun seine Vorlesungen auf (so richtig offiziell und mit Sakko), ich tausche selbstgedrehte Homevideos mit K. aus (die uns beide mehr begeistern als wir es je für möglich gehalten hätten).
  • Bei einem meiner Besuche in Togoland fällt mir auf, dass ich die Kuchengabel nun genauso in das am Fensterlkiosk des Lieblingsseebiergartens erworbene Streuselkuchenstück ramme, wie es der Wirt immer tat, damals, als man den Kuchen noch auf Tellern serviert bekam und ihn nicht von Bambusgeschirr oder aus der mitgebrachten Box verzehren musste. Vermutlich tue ich das in Reminiszenz an gute, alte Zeiten (und um Traditionen aufrechtzuerhalten).
  • Die Steuererklärung ruht schon wieder, bei nichts geht mir so dermaßen schnell der Atem aus wie bei dieser Erbsenzählerei und Einhackerei von Daten. Zefix.
  • Ich schreibe viel und schlafe wenig (und überlege noch, ob es da eventuell einen Zusammenhang gibt).
  • Die Frequenz der Arztkontakte und Termine mit medizinischem Hintergrund ist deutlich zu hoch. Auch die der Apothekenbesuche. (Notiz am Rande: Ich hatte völlig vergessen, wie unfassbar laut so ein MRT ist.)
  • Für den Juli winken auf einmal ungeahnt grandiose Aussichten, und das ausnahmsweise nicht im Geburtstagskontext. Nimmt man aber diesen Jahrestag und die bis dahin erfolgte Zweitimpfung noch als weitere positiv konnotierte Anlässe hinzu, so dürfte das – sofern der Winter sich bis dahin endgültig verabschiedet haben sollte, was angesichts des eiskalten Starts in den Wonnemonat Mai sich vorzustellen derzeit nicht so leicht fällt – ein ziemlich herrlicher Monat werden.
  • Die Suche nach einer einsamen Hütte in den Bergen läuft auf Hochtouren (beachten Sie das Wortspiel!), leider scheinen auch noch andere den Wunsch zu hegen, die paar angenehmen Seiten des Lockdowns auf genau diese Weise fortzusetzen.
  • Nach Jahren ertappe ich mich erstmals wieder dabei, wie mir (von Süden aus kommend, auf den letzten Metern der A95 vor den Toren der Stadt) der Anblick von Stasi und Blasi (für Nicht-München-Kundige: nein, das ist nicht irgendeine bayerische Perversion, so heißen die beiden Zwiebeltürme der hiesigen Frauenkirche) für einen kurzen Moment Tränen in die Augen treibt.
    Von der diesem Phänomen zugrundeliegenden Kindheitserinnerung berichte ich vielleicht ein andermal.

3 Kommentare zu “Fy og Bi oder: Pandemie-Pärchen.

  1. „Denk an die Umwelt – fahr mit dem Bus“, las ich kürzlich an so einem Camperdings angeschrieben. Ein Zeugnis eher fragwürdigen Humors.

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  2. Fairer Lohn für gute Arbeit!

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  3. Haushaltshilfe im Rahmen der so genannten Entlastungsleistungen aus der Pflegeversicherung kostet deutlich über 30 €, die Stunde. Grüße an die Geizpunz, möge sie psychisch und auch seelisch mal in sich gehen…ich kenne so Diskussionen übrigens nur zu gut.
    Liebe Grüße, Reiner

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