Gehört Geschenkt

Song des Tages (70) – Zum 24. Mai 2021.

[Wie schade, dass diese Serie nicht schon zehn Lieder weiter gediehen ist, dann tät‘ die Zahl genau passen…, aber womöglich ist 80 eh die neue 70, eine Formulierung, die man ja mittlerweile, wenn ich nicht irre, getrost bei nahezu jedem runden Geburtstag anwenden kann, bei dem der Jubilar noch frischer aus der Wäsche schaut oder seinem Habitus nach wirkt als er laut Datumseintrag in seinem Ausweisdokument tatsächlich ist.]

Kaum zu glauben: Bob Dylan, eines der ersten musikalischen Idole meiner Jugendzeit, ist nun 80 Jahre alt.
Der Würdigungen dürfte es anlässlich dieses Jubeltages unendlich viele geben, in allen erdenklichen Formen und Formaten: Etliche neue Bücher sind erschienen, die Feuilletons quellen über vor Huldigungen (inständig hoffte ich auf einen launigen Text von Kurt Kister und wurde nicht enttäuscht), TV- und Radiosender präsentieren stundenlange Spezialsendungen (diese hier könnte äußerst hörenswert werden), auf Schloss Hohenstein bei Coburg werden ab Juli die Gemälde von ‚His Bobness‘ gezeigt, und ganz besonders liebevoll wird der kauzige Krächzevogel heute in Osnabrück gefeiert – dort hat ein Musiker lokale Kolleginnen und Kollegen dazu aufgerufen, einen Song von Dylan zu singen und sich dabei zu filmen – zu sehen ist das Ganze im YouTube-Kanal des örtlichen Musikbüros.

Beim Aufschlagen der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung war ich fast zu Tränen gerührt beim Lesen der ersten beiden Absätze der Hommage aus der Feder von Willi Winkler, seines Zeichens in den letzten Jahrzehnten Haupt-Dylanologe der SZ und ohnehin einer der talentiertesten Nachruf-Schreiber dieser Zeitung:

Ja, genau dieser Song gehört ganz unbedingt erwähnt, und auch genau auf diese Art und Weise (und auch der Rest des Artikels ist absolut lesenswert)!

Alle, die den Folksänger, Crooner und Rockpoeten aus Duluth lieben, werden ihre eigene kleine oder große Liste an Lieblingsliedern haben, ihren ganz eigenen Zugang zu diesem Ausnahmekünstler und ihre eigene Geschichte mit diesem eigensinnigen und eigenwilligen Mann, der uns so zahlreiche göttliche, geheimnisvolle und – wie im Fall der armen Hattie Carroll – manchmal auch grausame Geschichten geschenkt hat und immer noch nicht fertig ist mit dem Erzählen.

Bob Dylan ist mir ans bzw. ins Herz gewachsen seit ich, ungefähr 13- oder 14-jährig, zusammen mit Penny, meiner damaligen Dackelmischlingshündin, auf dem hellbeigen Teppichboden meines Jugendzimmers fläzte und voller Neugier eine frisch auf dem Flohmarkt ergatterte Schallplatte auflegte.
One of Us Must Know von der ersten Scheibe dieses grandiosen Doppelalbums war die allererste Injektion, die mir aus diesem für meine Ohren ganz und gar neuen Kosmos intravenös verabreicht wurde. Text und Musik schossen in mich hinein, ich war wie elektrisiert, und es dauerte Stunden, bis ich schließlich auf Seite 4 des Albums angelangt war und dort „nur“ einen einzigen Song vorfand.
11 Minuten und 23 Sekunden, das hatte ich in meinem so jungen Leben, dessen musikalische Sozialisation in eine Ära fiel, die überwiegend aus vierminütigen Popdudeleien ohne jeden kompositorischen oder lyrischen Tiefgang bestand, noch nicht erlebt!
Sad-Eyed Lady of the Lowlands war der Titel dieses fulminanten Finales, und das war mal kein mageres Pop-Gschichterl, das da erzählt wurde, sondern ein sattes Epos und eine ganz hinreißende Liebeserklärung, wie ich sie noch nie zuvor auf einer Platte gehört hatte (And your saintlike face and your ghostlike soul | Who among them could ever think he could destroy you?).

Diesem Diamanten unter den Dylan-Alben gebührte ab sofort ein Ehrenplatz in meinem noch sehr schlanken Plattenregal: es durfte neben „The River“ stehen, dem Springsteenschen Initiationserlebnis und einzigen Doppelalbum, das ich damals besaß.
Fortan ließ ich sämtliche Hitparadenlieder links liegen, sprang aus meiner Zeit hinaus und hinein in eine Vergangenheit, die mir zur schönsten Gegenwart wurde und mich in Geschichts- und Klangwelten entführte, in denen ich auch heute noch ein tiefes Gefühl von Heimat und Angekommensein empfinde.

In diesem Sinne: Happy Bob-Day & may your songs always be sung!

5 Kommentare zu “Song des Tages (70) – Zum 24. Mai 2021.

  1. Du bringst Dein Erinnerungsstück ins Gedächtnis. Ich hatte mehr das spätere „Sarah“ im Kopf.
    Den ganzen Tag schon höre ich die Beiträge auf Bayern2 zum 80. Geburtstag von Bob Dylan. So viele Songs, Texte, Übersetzungen, Stories und Covers. Bob Dylan 1978 auf dem Nürnberger „Reichsparteitagsgelände“.
    Danke und schöne Grüße

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  2. danke für diesen Artikel, ein paar schöne videos dabei…
    lg wolfgang

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  3. Schöner Beitrag über einen, der (auch) mein Leben ausmacht. Und ja: Blonde on blonde. Puuh.
    Hier steht, wie es mir mit Dylan ergangen ist:https://alleaugenblicke.de/buckets-of-rain/

    Liebe Grüße,
    Werner

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  4. Ja, das erste lange Stück war immer was besonderes. Eine musikalische Lebensweiche sozusagen. Mein langer Erstling war Rick Wakemans „Journey to the Center of the Earth (Part 1) 17 Minuten!
    Damit war Artrock ein Muss geworden.
    Dylan kriegte mich vor allem so richtig mit seinem Auftritt auf dem Bangladesh Konzert von George Harrison. Leider ist das Dreifachalbum insgesamt ziemlich mies. Man braucht da nur die eine Dylan-LP-Seite.

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