Sonntagmorgen am Tegernsee.
Viel zu früh wach, schlecht geschlafen, zu warm im Dachstudio, zu wirr die Träume.
Beim Morgengassi ein wildwolkiger Himmel über dem Tal. Am Vormittag soll es aufklaren und sonnig werden, spätestens dann werden massenhaft Besucher einfallen, weil nun auch hier die Außengastronomie (einer dieser unerträglichen Begriffe aus dem C-Vokabular) wieder öffnen darf, allen voran das weltberühmte Bräustüberl (hoffen wir mal, dass das alles gut geht).
Beim Frühstück treibt eine Stubenfliege das Dackelfräulein halb in den Wahnsinn – und somit auch mich.
Es ist 7:40 Uhr.
Vor meiner Abreise warten noch ein paar Hausarbeiten auf mich. Beginnen kann ich damit erst, wenn der Papa aufgestanden ist, also frühestens um 10 Uhr. Ich schaue durch die Terrassentür hoch zum Wallberggipfel. Kaum zu glauben, da oben steht ja schon jemand!
In diesem Augenblick schießt mir eine Idee durch den Kopf: Warum war ich eigentlich noch nie morgens dort oben? Und: falls ich heute hier in der Gegend noch irgendeinen Berg betrete, dann doch am besten bevor all die Ausflügler anrücken, 840 Höhenmeter bergauf dürfte das Knie mittlerweile schon schaffen, und hinab kann ich die Gondel nehmen, die seit gestern wieder in Betrieb ist.
Ich schlüpfe in die Wanderklamotten vom Vortag, stecke Kamera, Trinkflasche und einen Nussriegel in den Rucksack (und gottseidank auch Windstopperweste und Mütze). Füttere das Fräulein und trage sie anschließend in den ersten Stock, wo sie sich sofort ins Schlafzimmer trollt, genauer gesagt: unter die Bettdecke des Papas. Der wacht davon genau so kurz auf, dass ich ihm mitteilen kann, ich sei nun für zwei Stunden außer Haus.

Auf dem Parkplatz der Bergbahn herrscht noch gähnende Leere.
Mir ist ebenfalls nach Gähnen, an sich bin ich nämlich kein Morgenmensch. Egal, ich marschiere los. Serpentine um Serpentine schnaufe ich voran, nach 20 Minuten stellt sich eine Art Rhythmus ein, nach weiteren 20 Minuten laufe empfundenermaßen nicht mehr ich, sondern es läuft mich.
Ein traumhaftes Gefühl: der zermarterte Kopf wird leer, das zerrissene Herz hingegen füllt sich.
Im Westen taucht der Hirschberg auf, im Süden der Setzberg, überall noch Schneereste auf den Spitzen, oder sind’s Wolken?
Völlige Ruhe umgibt mich, nur ab und an ein Vogelruf, zweimal überholen mich einheimische Bergläufer (also solche, die da wirklich hochrennen, mit Trinkblase am Rücken und im windschnittigen Laufdress), ansonsten keine Menschenseele unterwegs. Ich staune, wie schnell ich das Plateau erreiche, auf dem der Weg rechterhand zum Alten Wallberghaus abzweigt, auf einer Tafel steht in Kreide was von „Weißwurstfrühstück“ an diesem Sonntag.

Ich halte inne, nicht wegen der Weißwurst, sondern wegen des Windes, der hier heroben nun doch recht eisig ist. Kein Wunder, es hat ja auch nur 7 Grad. Weste übergezogen und weiter, letzte Etappe zur kleinen Bergkapelle, zu deren Fuße die Paraglider sich und ihre Schirme startklar machen, ein paar sind schon im Morgenhimmel verschwunden.
Ein achtjähriger Chihuahuarüde im Goretexmantel, der auf den Namen „Wolfgang“ hört, was ja wahrlich kein Name für so einen Winzling ist, wieselt an mir vorbei, zielsicher Richtung Aussichtsbankerl bei der Kapelle. Sein Frauchen und ich kommen kurz ins Gespräch übers Älterwerden der Vierbeiner, dann verschwinden die beiden zur Panoramaplattform.
Ich gucke den Gleitschirmfliegern noch ein Weilchen zu. Wie elegant das aussieht, wenn die abheben! Dennoch: keine Sportart für mich, viel zu viel Glump, das man da kaufen/transportieren/mitschleppen/anziehen/pflegen/verstauen muss.
Knapp 90 Minuten Morgensport liegen hinter mir als ich den Eingang der Bergabahnstation erreiche. Dort überrascht mich ein Schild mit der Aufschrift: „Beförderung in der Kabinenbahn nur gemäß der 3-G-Regel: Geimpft-Genesen-Getestet„.
Mist, das habe ich überhaupt nicht bedacht in meinem morgendlichen Eifer. Mir wird etwas mulmig, denn die ganze Strecke jetzt wieder runterlaufen, das kommt eigentlich nicht in Frage.
Ich versuche also mein Glück, ziehe mir die Maske auf und folge dem Schild „Zur Talfahrt“.
Am Kassenhäuschen empfängt mich ein rumpliger Bayer mit den knappen Worten: „Die Papiere bitte!„. Ich schiebe ihm den Geldschein für das Ticket durch die Luke im Plexiglas, er nimmt ihn entgegen und fragt: „Hamma a no oans der 3-G-Bladln?“ und ich sagte so charmant das mit FFP2-Visage eben geht: „Na, hamma ned, lassen’S mich ausnahmsweise des vierte G sein? Ich bin nämlich gejoggt!„.
Und weil ich die Einzige weit und breit bin oder weil er nicht mit dem falschen Fuß aufgestanden ist, winkt mich der alte Grantler gnädig durch zur Gondel, und ich bin heilfroh, als ich da drin sitze und zurück ins Tal schwebe.
Auch der weitere Tag steht ganz unerwartet unter einem guten Omen. Im Haus erledige ich flink alles, was ich dem Papa zugesagt hatte, packe meine Siebensachen zusammen, belade das Auto und mache mich dann zu einem abschließenden Spaziergang mit Pippa auf.
Wir laufen zur Weißach und folgen dem Gebirgsbach bis zu seiner Einmündung in den Tegernsee, denn an der Stelle befindet sich einer der Hundestrände. Ein kleines Paradies mit Wiese, Schilfzone und feinsandigem Ufer.

Dort treffen wir auf Berta, 14 Wochen alt, zum ersten Mal in ihrem Leben an einem Sandstrand und See.

Das Fräulein findet den Welpen nett, aber ihren Ball und die eben erst begonnene Großgrabung noch netter.
Berta guckt aufmerksam zu, was man als ausgewachsener Dachshund an einem Strand so zu tun hat, lernt schnell und tut es Pippa gleich.
Als sie mit großem Engagement ihre erste Grube ausgehoben hat, plumpst sie kopfüber hinein. Pippa flitzt zu ihr, stupst sie an, treibt sie zum Wasser und zeigt ihr, wie man sich die sandverkrustete Schnauze beim Wellenjagen wieder saubermacht.
Es gibt Weniges, dem in seiner geballten, heiteren Zwecklosigkeit beizuwohnen in mir solch eine Wonne auslöst, wie zwei Dackel bei der Arbeit und beim Spielen.
Verraten Sie mir, was „C-Vokabular“ ist?
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C wie Corona. Der Begriff selbst dürfte ebenfalls Teil des halbwegs etablierten C-Vokabulars sein. Stammt nicht von mir, ich schwöre!
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Abgesehen von den 840 Höhenmetern („ich bin mal für zwei Stunden weg“ …hä???) und den herzallerliebsten Doppelbuddlern:
Ist Dir aufgefallen, welch schönes Kapellenfoto Du geschossen hast und demzufolge Du live dabei warst, als die Wolken den Himmel haargenau für die Kapellensilhouette freigaben? Chapeau!
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Dank dir für die Blogblumen.
Allerdings ist mir das aufgefallen, liebe Birgit, ich habe mir nämlich höchstpersönlich dort oben den A… abgefroren, um das noch abzuwarten 😬💙
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Ich bin in den letzten zwei Jahren fast immer mit dem Sonnenaufgang losgewandert, da war es noch erträglich. Wenn dann die Massen aus München einfielen, saß ich schon fast wieder im Zug nach München. Nervt nur, wenn man dafür um 4 Uhr aufstehen muss.
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4 Uhr? Alle Achtung! Da wäre der Tag für mich gelaufen.
Aber gut, dass sich durch diese antizyklische Ausflugsplanung manches entzerren lässt.
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Liebe Natascha,
der Kabinenbahnbetreiber ist offensichtlich schlecht informiert: überall macht der Slogan „aus 3G wird 4G!“ die Runde, und nicht mehr lange, dann ist auch 5G flächendeckend verfügbar – ob das 5. G nun für „ich hab hier oben genächtigt“ steht oder was sich sonst hinter dem 5. siebten Buchstaben des Alphabets verbirgt, ist noch offen – Du warst jedenfalls eindeutig auf aktuellem Stand … 😉
Die Strandbilder der Dackeldamen könntest Du unter dem Titel „Teckeltreiben am Tegernsee“ oder „Dackel-Duo in den Dünen“ in den einschlägigen Hundereise-Postillen zu Geld machen … Berta kriegt natürlich eine Beteiligung – und vielleicht gibt’s als Bonus ja Hunde-Reisepastillen?
Sonnige Grüße aus der Ortenau!
Spike
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Lieber Spike,
die Einführung von 5G hatte ich selbstverständlich auch im Hinterkopf! In meinem Fall käme da ein „gedackelt“ hinzu, eh klar.
Jetzt befasse ich mich nochmal mit deinem Bilderrätsel – bislang ungelöst, zum einen wegen Müdigkeit (es traf ein, als ich fast schon schlief), zum anderen wegen Abwesenheit (gestern nahm sich der Gatte außer der Reihe einen Tag frei). Vielleicht habe ich ja vor dem Mittagsgassi noch eine zündende Idee…
Sonnige Grüße aus München,
Natascha
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