Ein Ort der Gegensätze, dieses Bad Gastein.
Einerseits verfallenes Bergdorf, das den morbiden Charme längst vergangener Zeiten atmet, andererseits aufwändig vermarktete und finanzkräftig eingefädelte Renaissance eines ehemals mondänen Kurorts der Belle Epoque.

Das Grand Hotel de l’Europe: ein Hauch vom Berliner Adlon, die brutale Betonarchitektur des verwaisten Kongresszentrums: ein Touch vom ehemaligen Palast der Republik – überall ein Nebeneinander unterschiedlicher Stile, ein Sammelsurium geplatzter Träume, ein Utopia üppig orchestrierter Zukunftsmusik, das nie zuende komponiert wurde.

Verschiedende Komponisten versuchten (und versuchen es noch), die Kontraste zu amalgamieren, die Bruchstellen zu kitten, die kleine Alpenstadt also gleichsam neu zu erfinden, zu retten und zu erhalten.

Wir stolpern schon beim ersten Rundgang über riesige Baustellen, direkt vor unserer Nase wird einer der Zugänge zum berühmten „Wasserfallweg“ verrammelt (und das für die nächsten zwei Jahre, wie uns der Bauarbeiter sagt), im Hintergrund hört man Kräne knarzen, Presslufthämmer prasseln mit dem Wasserfalls um die Wette.
Der Österreicher, gewitzt und clever wie er nunmal ist (vor allem der Touristiker), versteht es, selbst aus diesen mitten im Ort klaffenden Wunden noch ein Event zu basteln und Profit zu schlagen.

Umso froher sind wir über unser beschauliches Quartier am Osthang des Graukogels. Eine schön angelegte, autofreie Promenade direkt unterhalb des kleinen, überaus hundefreundlichen Hotels mit fantastischem Blick weit ins Gasteinertal hinein und auf die umliegenden 2.000er hinauf.
Viel Ruhe, gute Luft und in dem alten Gebäude allerhand K&K-Klimbim und Trophäen verblichener Thermalbadegäste und Sommerfrischler.

Ein Ort, an den ich wiederkehren möchte, einer von denen sogar, an denen ich mir mich auch noch in hohem Alter vorstellen kann (ich mag ja Dinge, Aktivitäten und Orte, die mir das Gefühl geben, dass ich sie lebenslang um mich haben, betreiben oder aufsuchen kann, unter anderem auch daher wohl meine Neigung zum Schwimmen).
Nach dem Frühstück ein Kontemplations-, Plauder-, Lese- oder Schreibstündchen im kruscheligen Salon (außer, der Gatte befindet sich in der Home University), in dem noch Überreste von Sigmund Freuds Über-Ich in den brokatbezogenen Ohrensesseln herumlümmeln (der Herr Analytiker war hier wohl öfter zu Gast), draußen, im hübsch bepflanzten Gärtchen, ein blitzsauberes Becken, in dem man zwar keinen Schwimmsport betreiben, wohl aber nach dem Bergtag seine kaputten Knie ein wenig ausschütteln und das unangenehme Zwicken im unteren Rücken von einem Massagestrahl bearbeiten lassen kann (sogar an den Pool darf das Fräulein mit und döst selig im Schatten unter der Liege des Gatten).

Der Pongauer Hausherr professionellst dauerfreundlich und gesprächsbereit, holt jeden seiner Gäste dort ab, wo er abgeholt werden möchte, lässt uns also entsprechend stehen, außer wir sprechen ihn an, dann ist er wie auf Knopfdruck in Gastgeberhöchstform. Überhaupt ein Bilderbuchösterreicher: ein bisschen „Bitte, danke!“-Getue, ein wenig salzburgerische Schleimscheißerei, eine Prise Pomadenhaftes und etwas Exaltiertheit (das Schuhwerk!, die Gürtelschnalle! – ich muss an den Herrn Grafen denken, in dessen leicht vergammelten Kärntner Schlösschen wir vor vielen Jahren mal urlaubten, der Hofhund hieß Lotti, der Schlossteichkarpfen Franz Joseph, die Ehefrau Eleonora, sie stammte aus einem verarmten italienischem Adelsgeschlecht, es war ganz wunderbar dort).

Die Gasteiner Gegensätze finden sich auch beim Wetter, donnerstags hochsommerlich, freitags herbstneblig, heute ein sommerlicher Sonne-Wolken-Mix. Wie immer bestimmt die Tagesform des Fräuleins, welche Tour angesagt ist. Bei 26 Grad wählen wir schattige Bergwaldwege, sitzen lange (im Strudelparadies) auf der Graukogelalm und wählen für den Abstieg den Sessellift (und ich bin sehr stolz, mit welch routinierter Gelassenheit der kleine Hund auf meinem Schoß sitzend ins Tal hinabschwebt).

Bei 14 Grad steht eine Höhenwanderung jenseits der Baumgrenze an, weil dort könnte man bei Sonnenschein guten Gewissens keinen Meter mit dem Hund zurücklegen, an einem Nebel- und Nieselregentag ist hingegen locker eine mehrstündige Tour machbar, wenn auch mit dem Nachteil, dass man von den spektakulären 3.000ern rundum bestenfalls die Silhouetten erahnen kann.

Üppigste Vegetation, Schneereste, Salamander und anderes Getier – das Dackelfräulein ist begeistert und wir auch. Bloß der Bergsee auf 2.000m Höhe ist reichlich enttäuschend, denn der präsentiert sich ganz unerwartet als Baustelle, später erläutert uns die Hüttenwirtin auf der Bockhartseehütte, was da grad gewerkelt wird und wie abenteuerlich die Baufahrzeuge hier hinaufgelangen, nämlich durch einen engen Tunnel mitten im Berg.

Noch unerwarteter dann, dass es zu den Kaspressknödeln plötzlich heftig zu hageln und gewittern beginnt, vor dem Fenster schaut es in nullkommanix aus, als wäre wieder Winter und wir sind heilfroh, dass die Wirtsleute uns anbieten, uns nach Feierabend im Jeep mit hinunter zu nehmen.

Da im Jeep nur noch ein Platz auf der Rückbank frei ist, wird der Gatte mitsamt der Rucksäcke in den Laderaum verfrachtet, wo er durch die beschlagene Heckscheibe ein paar gespenstische Fotos schießt, um sich die 20 Minuten der rumpligen und nicht ganz ungefährlichen Abfahrt (überall rinnt das Wasser in Sturzbächen talwärts, so dass der Geländewagen vorsichtig gelenkt werden muss) zu vertreiben. So lernt man dann sogar den Baufahrzeugtunnel kennen, der wirklich dermaßen dunkel ist, dass man sich gar nicht vorstellen möchte, wie eine Gegenverkehrsbegegnung hier drinnen zu bewerkstelligen wäre – nur gut, dass die Bauarbeiter ihre Schicht bereits beendet haben.


Unversehrt wieder unten in Nassfeld (nomen est omen!) angekommen, sprinten wir durch den strömenden Regen zum Auto – mittlerweile das einzige Fahrzeug auf dem riesigen Parkplatz – und zuckeln über die Mautstraße zurück nach Bad Gastein.

Die Bergwelt hat auch bei so einem Wetter ihren Reiz!“ , sagen wir, als wir eine Dreiviertelstunde später gemütlich in der Hotelsauna sitzen, hinaus auf die Nebelhänge gucken und uns aufs Abendessen freuen.
Die holprige Jeepfahrt hat meinen zwickenden Rücken repariert, wie ich feststelle. Nix Yogapraxis, Osteopathie oder Wellnessmassage, sondern eine simple, zwanzigminütige Rüttelei. Es lebe die Kurzkur!

5 Kommentare zu “Kurzkurlaub der Kontraste.

  1. Bad Gastein – ein Ort an dem die Krücken abgelegt werden und zurückbleiben.

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  2. Bad Gastein – also Lesezwang für mich. Seit Liechtenstein! Dieser morbide Charme, den hier herum auch Beelitz-Heilstätten hat, immer , wenn eine Gesellschaft zu blöde ist bauliche Schönheit instandzuhalten und diese eben verfällt.Und dann kommen so verkrachte Genies, lassen sich inspirieren und machen Alben.
    Der Friedrich Liechtenstein, der edeka-spot-Mann, hat vor Jahren ein wun-der-schönes „Bad Gastein“ Album gemacht.

    Gefällt 2 Personen

  3. Pingback: Badgastein – die „Sie müssen sich keine Sorgen um mich machen“-Version. – Kraulquappe

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