Gefragt Gegrübelt Gelaufen Gesorgt Gespürt

Himmel der Bayern (97): Fortkommen.

Aus der Serie „Vergessene Berge“ lesen Sie heute: der Schildenstein.

Immer dran vorbeigelaufen, weil via Blaubergkamm manch Anderes erstrebenswerter erschien oder aber die Kondition (meine oder die des Fräuleins) zu wacklig oder das Wetter zu instabil war (oder – wir wollen ja hier nichts unter den Teppich kehren – U. die Schuhsohle oder H. den nächsten Beziehungsstreit vom Zaun brach).

Ein Trainingslauf für das Zugspitzvorhaben, denn heute wäre Termin Nr. 2 gewesen, wenn Wege und Wasser schon wieder dort wären, wo sie sein sollten und es gestern nicht 12 cm reingeschneit hätte ins Zugspitzmassiv.

Stattdessen also endlich mal auf den Schildenstein, nicht nur, um das derzeit errungene Beweglichkeitslevel zu pflegen bzw. zu konservieren, sondern auch als psychohygienisches Kontrastprogramm zum Besuch beim Papa (Themenschwerpunkte heute: Was kommt nach der Reha? Und: Wie geht’s uns mit der Aussicht, nicht mehr allzu viele Aussichten zu haben? Ja, tatsächlich, wir sprachen über Erde, Würmer, Steine und Särge. Nicht, weil’s kurz bevorstünde, sondern weil es heute gut möglich war, mal darüber zu sprechen, was ich schon ahnte und weshalb ich mich ein kleines Bisschen vorbereitet hatte, um nicht an plötzlicher Mundtrockenheit zu verstummen, weil mich das Ganze zu überraschend träfe.)

Dem Schildenstein sei Dank fürs Kopffreiräumen und Herzfrequenzjustieren!
920 Höhenmeter in 1 Std 50 Min, wenn man die kurze Verschnauf- und Podcastpause abzieht, das passt prima.
Tja, aber kaum ist man 1x dort oben, hat sich mühsam mit den Händen die letzten Meter über den steilen Fels zum Gipfelkreuz hinaufgehievt, gibt’s zur Belohnung (oder Begrüßung?) einen zehnminütigen Schauer. Statt Brotzeit erstmal Verhüllung von Haupt und Habe, na toll.

Im Süden vergraben sich Guffert und Achensee unter grauen Wolken, im Norden leuchtet das Wildbad zu Kreuth noch goldgelb aus seinem Hochplateau hervor. Unklare Wetterlage und wie so oft in diesem Sommer lagen sämtliche Prognosen für den Wochenstart knapp daneben.
Wurscht, man hat ja alles dabei und immerhin ist man ganz allein da heroben. Der Schauer endet, die Brezen, der Pecorino und die 4 Cocktailtomaten munden, der halbe Liter Rhabarberschorle ebenso. Leute, diese allgegenwärtige Alltagspest (zumal in der Variante Touristen), kommen hinzu und sind in lustiger, lauter Plauderlaune, ich suche sofort das Weite bzw. das Tiefe, weil ich heute nichts hören will außer dem Echo, das meine eigenen Gedanken in mir erzeugen, sofern sie denn das Zeug dazu hätten (oder ich die Puste dazu).

Äußerst unangenehmer Abstieg in der ersten Viertelstunde, weil der Fels nun ziemlich nass ist und weil steil bergab immer schon blöder war als steil bergauf. Nur nicht ans Knie denken, der emporkriechenden Ängstlichkeit bloß keinen Raum geben, volle Konzentration auf den jeweils nächsten Griff und Tritt, bloß nicht den Fuß verdrehen, nicht nach unten gucken, auch nicht nach oben, bloß nicht in den Schmerz hineinsteigern, den der doofe Nerv in einer Pobacke schon wieder verursacht, nicht auf das Geräusch achten, das die paar purzelnden Steinchen produzieren, als die Füße einmal nicht gleich den passenden Halt finden, nicht hinspüren, wie die pappige Melange aus 30er Sonnencreme (wozu nur?) und einer Überdosis Nobite (8 Stiche reichen!) langsam aber sicher in die Augen rinnt, nicht dran denken, wie das gleich brennen wird, überhaupt einfach mal gar nichts denken-antizipieren-befürchten (Herrschaftszeiten, wie geht das? Und warum hat einem diese zentrale Fähigkeit eigentlich keiner beigebracht?), sondern die Aufmerksamkeit komplett in den Fels hineinbohren, sofern man den mit triefenden Augen noch zu sehen vermag, und drauf vertrauen, dass das Können und die Erfahrung plus ein gelegentliches Greifen nach den Zweigen oder Wurzeln der Latschenkiefern über oder neben einem einen da schon hinunter geleiten werden, und so ist es ja dann auch – und genau das sind sie, diese kleinen Erlebnisse in der großen Natur, die mich so stärken-ermutigen-imprägnieren, auch für vieles andere im Leben.

Jenseits des Verstandes beginnt das Reich der Angst, las ich irgendwanneinmal irgendwo.

Und jenseits der Angst beginnt das Reich der Freiheit, möchte ich dem nun, da ich wohlbehalten auf der Alm angekommen bin und (am einzig wahren Tisch sitzend) die wohlverdiente leichte Weiße schlürfe, noch hinzufügen.

Haben Sie übrigens vielen Dank für Ihre zahlreichen anteilnehmenden und aufmunternden Worte bzgl. des maladen Dackelfräuleins, die erfeulicherweise prompte Wirkung zeigten – somit beginnt die neue Woche mit einer Sorge weniger.

4 Kommentare zu “Himmel der Bayern (97): Fortkommen.

  1. Den Tisch haben’s aber gezielt angesteuert, was? 😉
    Schöne Tour, scheint mir…

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  2. Kühe mir Hörnern sieht man nur noch selten. Das wird kaum angeprangert.

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