Gefragt Gegrübelt Gehört Gelaufen Gelitten Genossen Gespürt Getan Gewerkelt

See the trees lose their green and now they’re coloured.

Da der Oktober in diesem Jahr nicht geizt mit allerletzten schönen und sonnigen Herbsttagen, wollen auch wir nicht knausrig sein und die Spazierwegesammlung noch um ein paar Fundstücke erweitern. Es muss ja nicht immer die Isar sein, an der Loisach läuft sich’s ebenso schön – und vor allem ruhiger.

See the trees lose their green and now they’re coloured, so heißt es in „Walden Pond“ , dem wohl wunderbarsten Herbstsong, den ich je gehört habe. Und weiter:
You’ve been running all day and you just couldn’t perceive
Ideas are filling the air
What are you trying to say?
What are you trying to find or hoping to see?

Tja, manchmal trifft’s das genau: durch den Tag gerannt ohne wirklich etwas zu sehen, zu spüren, geschweige denn zu erkennen.
Dabei flirren Ideen durch die Luft, umflattern einem förmlich zusammen mit der Farbenpracht, nur das Zugreifen fällt seltsam schwer (ist es die eigene Zögerlichkeit oder woran scheitert’s?) und bevor man’s sich versieht, sind sie mit dem Laub aus luftigen Höhen hinabgefallen und wir gehen über sie hinweg, fegen sie vielleicht sogar mit dem Fuß beiseite.
Was wollte ich eigentlich sagen oder finden, was hoffte ich, wahrzunehmen?

Die Tage scheinen momentan im selben Maße kürzer zu werden wie die Gespräche, Telefonate und Briefwechsel mit den wenigen mir nahen Menschen länger werden. Der Inhalt nicht immer leicht verdaulich, denn wir schwimmen schließlich nicht alle in derselben Herbstmelancholiesuppe herum, sondern ein jeder in seiner eigenen.
In der meinen ist eindeutig zu viel Sahne drin, die alles zu verbinden sucht und sich dennoch gelegentlich in zähen Klümpchen am Topfrand festsetzt, wo man sie dann mühsam wegkratzen und wieder in den Gesamtbrei einrühren muss.

Aber wir wollen das hier nicht weiter ausbreiten, zumal in einer Lebensphase, in der ich gerade die bahnbrechende Erfahrung mache, nicht immer alles sofort kommunizieren und klären zu wollen können müssen, sondern ab und zu einfach mal abzuwarten, weil sich manche Dinge auch ohne mein promptes Kümmern und überengagiertes Zutun wieder auflösen.
Das Älterwerden hat wirklich viele Vorteile, vor allem im Herbst: es ist nämlich, zumindest möchte ich das so glauben, der jahresezeitlich bedingten Zunahme an Müdigkeit und Erschöpfungserscheinungen (sowie der Beschäftigung mit der Steuererklärung) zu verdanken, dass ich Reaktionen im Sozialsektor auf später verschiebe, meinen Senf nicht mehr möglichst zeitnah dazugebe und mir überhaupt einfach mehr Zeit nehme, bis ich meinen Zeitgenossen wieder wacher, wohlgesonnener und wesentlicher gegenübertreten kann.
Nebenbei: ein schönes Wort, dieses „Zeitgenosse“ , erst recht, wenn man’s für sich so deutet, dass die gemeinsame Zeit etwas zu Genießendes sein sollte, was sie freilich nur sein kann, wenn jeder der Beteiligten sich nicht für akut ungenießbar hält und/oder einem der Sinn grad gar nicht nach Genuss steht, was beispielsweise wegen der Beschäftigung mit der Steuererklärung temporär durchaus mal der Fall sein kann – oder auch einfach so, weil man unnützerweise zu sehr mit sich selbst verschraubt ist oder sich in albernen Alltagskämpfen aufreibt.

Zu Letzterem, dem allgegenwärtigen „Kampf“-Aspekt, möchte ich Ihnen die Ausführungen des von mir sehr geschätzten Kurt Kister nahelegen:

(…) Andererseits gehört das Verb „ringen“ zu jenen vielen Wörtern, die bedeutungshuberisch für relativ normale Vorgänge benutzt werden. (…)
„Kampf“ oder „kämpfen“ ist auch eines dieser durch zu häufigen Gebrauch entwerteten Wörter. Jeder und jede, die etwas nicht ganz im Konsens durchsetzen können, „kämpfen“ heute. Lindner kämpft ums Finanzministerium, Scheuer (erinnern Sie sich an den noch?) kämpft gegen das Tempolimit, der Betriebsrat kämpft um anständige Stühle fürs Home-Office.
Manchmal könnte man glauben, um einen herum seien nur Kämpfer, Ringerinnen und Streiter.

Kisters Kolumne „Deutscher Alltag“ können Sie übrigens hier abonnieren und sich dann ab sofort einmal wöchtentlich zeitgleich mit mir an deren Lektüre erfreuen.

Und wo wir gerade bei Lektüretipps sind, möchte ich Ihnen noch einen klugen Kommentar zum derzeit ebenso beliebten wie ungeliebten Impf-Thema empfehlen, der mir aus der Seele spricht: „Individualisten als Impfskeptiker“ .
Die Unterscheidung zwischen diesen beiden, sich gegen die Impfung sträubenden Personengruppen, die hier vorgenommen und beleuchtet wird, finde ich ausgesprochen wichtig und richtig.
Vermutlich werden solche Plädoyers für mehr Vernunft und weniger Wissenschaftsverweigerung leider genau von den „Individualisten“, um deren Haltung es darin geht, nicht wahrgenommen, weil das große Raunen, dem hinzugeben sie sich entschlossen haben, ihr Hörvermögen für anderes bereits zu stark beeinträchtigt hat.
Es steht zu befürchten, dass uns das Thema noch mindestens bis ins nächste Frühjahr begleiten und noch etliche Graben_kämpfe (!) mit sich bringen wird, was mich zu Beginn dieser Woche ausnahmsweise mal nicht weiter beeinträchtigt, weil nicht nur die leuchtenden Herbstfarben meine zu Wankel- und Wehmut neigende Jahresendpsyche etwas einbremsen, sondern auch Meldungen wie diese für mentale Maximalerleichterung sorgen:

Ich muss sogar gestehen, dass ich die Software, die mir jüngst diesen Glückwunsch bescherte, wirklich mag, einerseits sozusagen wegen guter Führung, und andererseits, weil sie einen Namen trägt, der so offen und ehrlich auf die Sinnfrage verweist – ein Sarkasmus, den ich im Steuerkontext hie und da für äußerst angebracht halte.

Haben Sie eine schöne Woche, mit guten Ideen und Aussichten, angenehmen Zeitgenossen und einer hoffentlich bereits hinter Ihnen liegenden Steuererklärung.

4 Kommentare zu “See the trees lose their green and now they’re coloured.

  1. Schöner Song, mit feinen Aufnahmen und Gedanken zum Herbst!

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  2. In diesen Zeiten darf man sich bedanken, wie Dr. Teuschels (aus meiner Sicht überhaupt nicht „schrägliegenden“) Worte einer von Impfgegnern geschundenen Seele guttun … dazu läuft Matthias Forenbachers „Live Vest“ (nicht nur „Walden Pond“) im Hintergrund … [hört man da nicht ein wenig Bruce Springsteens Stimme?] … all diesen „Balsam“ (vor allem für die geschundene Seele) kann Ihre Leserschaft dank der genialen, multimedialen Verlinkungen in Ihrem herbstlichen Blogbeitrag genießen, liebe Kraulquappe, dazu gehören natürlich die absolut gelungenen Bilder, die die herbstliche Stimmung so einfangen, dass auch sie positive Gefühle in dieser doch schon recht kühlen Jahreszeit erzeugen. Ja, und schließlich ist dieser „Balsam“ „eingebettet“ in eine bildhafte Sprache von seltener Gewandtheit, sodass Ihre Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen und Erlebnisse für die Leserschaft lebendig und spürbar werden, „Chapeau!“, auch wenn die Blätter ihr Grün verlieren, Sie bringen Farbe in diesen Herbst, liebe Kraulquappe!

    Gefällt 1 Person

    • Haben Sie vielen Dank für Ihre freundlichen Worte – schön, dass Sie mit dem ein oder anderen Link etwas anfangen konnten.
      Und, ja: man kann auf „Live Vest“ teilweise die große Stimme des kleinen Mannes aus New Jersey hören – gut gelauscht!

      Gefällt 1 Person

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