Eine Offenbarung, dieser Text. Noch dazu in der Hörbuchversion, gelesen vom Verfasser höchstselbst. Bin nun zweimal durch, stecke gerade mitten im dritten Mal. Es entgeht einem ja so vieles beim Erst- und Zweithören.
Heutiges Lieblingswort: „Rabengedanken“ .
Die Stelle, an der es vorkommt: „Als ich aus dem Fenster sah, saß auf dem Dach ein Rabe mit eingezogenem Kopf im Regen und bewegte sich nicht. Viel später saß er immer noch da, reglos und frierend und einsam und still an einem Rabengedanken. Da fuhr ein brüderliches Gefühl in mich hinein und eine Einsamkeit füllte die Brust.“
Ja. So kann Schreiben sein, so geht Erzählen. Wie so vieles in letzter Zeit hab ich auch diese Entdeckung einer Freundin zu verdanken.
Aber bevor ich mich in Werner Herzogs „Vom Gehen im Eis“ stürzen durfte, war da ja noch der klägliche Rest des alten Jahres.
Man sollte es nicht glauben, aber nach dem Geburtstagsglück mit dem Fräulein, das ja immerhin schon am 28.12. stattfand, hatte das Jahr sogar auf seinen letzten Metern immer noch etwas Munition übrig für ein paar weitere Versehrtheiten.
Am 29.12. schoss es mir ein fieses Virus rein (diesmal nicht Corona) und parallel dazu kam der Gatte aus dem MRT mit einem Bandscheibenvorfall raus (auch das noch).
Den Jahreswechsel verbringe ich also im Bett, mit 39,3 Grad Fieber, permanent durchgeschwitzter Wäsche, grauenhaften Kopf- und Gliederschmerzen sowie einem Husten, der ein ganzjähriges Bauchmuskeltraining locker wettmacht.
Das Einzige, worauf ich halbwegs Appetit habe, ist Toast mit feiner Mettwurst drauf – das sagt eigentlich schon alles.
Ich kann nicht Lesen, nicht Hören, nicht Sprechen, jeder Lichtstrahl und jedes Geräusch tut in den Augen weh, jedes Wort schmerzt im Hals. Irgendwann knallt es draußen, das muss wohl das Ende eines Jahres sein – oder der Anfang eines neuen.
Mir ist alles egal, ich wünsche mir bloß, dass das Fieber und der bellende Husten verschwinden (und dass ich übrigbleibe, das wünsch ich mir auch).



Ach ja, dieses neue Jahr.
Es wird ein Jahr der Abschiede, soviel ist schon jetzt klar. Ein letztes Mal live den Brandauer sehen & hören, ein letztes Mal live den Springsteen sehen & hören, ihn immerhin dreimal, aber nach fast vier „gemeinsamen“ Jahrzehnten ist das absolut angemessen (die Hardcore-Fans gehen diesmal zu mehr als doppelt so vielen Konzerten, was man so hört und liest und neidvoll zur Kenntnis nimmt). Und wer weiß, was sonst noch kommt bzw. wer sonst noch geht.
Als das Fieber unter die 38-Grad-Marke gesunken ist, höre ich mir den Wolfgang Büscher an, er lässt sich übers Gehen und übers Schreiben und über alles Mögliche aus, ich schlafe leider ein, bevor die 18 Minuten vorüber sind, die Worte kolorieren den nachfolgenden Traum in schwarz-weiß-grau, es geht um Ikonen und Verwandlungen, ich sehe steinerne Büsten von irgendwelchen Berühmtheiten, alle Namen sind mir entfallen, und ich schwitze wieder, was das Zeug hält, und als ich aufwache, liegt das Smartphone stumm neben dem Kopfkissen, ich schalte es erneut ein und höre den verpassten Part nochmal nach und finde jedes Wort so wahr und so wichtig und schlafe dabei wieder ein (auch das ein Zeichen, dass ich dem Delirium noch näher bin als der Realität).
Ohnehin: die Träume in diesen Krankheitstagen so dicht gepackt wie lange nicht mehr. Einmal muss ich eine abstruse Aufnahmeprüfung zu „Shine On You Crazy Diamond“ absolvieren, es geht um eine komplizierte pantomimische Darstellung, die von dieser Musik untermalt wird.
Unklar, um was für eine Aufnahme ich mich da eigentlich bewerbe, jedenfalls scheitere ich kolossal, was aber – und das brülle ich der blasierten Jury wütend ins Gesicht – klar an Pink Floyd liegt und nicht an mir, denn das war bis auf zwei Songs noch nie meine Musik: zu sphärisch, zu monströs, zu experimentell.
Ein andermal träume ich von einer Feier, auf der ich neulich tatsächlich war, nur nimmt meine Teilnahme an dem kleinen Fest im Traum einen gänzlich anderen Verlauf als ich es mir real an jenem Abend zugestanden hätte. Ich begann zu randalieren, fegte erst spontan mit dem Arm die ganze Deko vom Tisch (Weihnachtskram, Kerzen und anderer Zierrat), lehnte mich dann zufrieden zurück und blaffte mein in sich selbst verschraubtes, dauerlaberndes und nun plötzlich verstummtes Gegenüber mit den Worten an: „Na? Überrascht? Das bin ich! Hättest du nicht gedacht, was? Weil du dir nämlich überhaupt nichts zu mir gedacht hast, nicht wahr?“
In echt übte ich mich an jenem Abend in der Kunst der „betreuten Monologe“, vielleicht kennen Sie das ja. Sie treffen auf neue Menschen, gehen offen und interessiert auf diese zu, beginnen ein Gespräch, indem Sie Ihren unbekannten Tischnachbarn wohlüberlegte Fragen stellen, Sie gehen dann auch auf deren Antworten ein, versuchen eben, in Kontakt zu kommen und sich dem anderen wirklich zu nähern, etwas von ihm zu erfahren (wer das ist, wie er ist, und vielleicht sogar, warum).
Irgendwann, sagen wir: nach etwa 48 Minuten, beginnt das Ganze allmählich zu kippen, denn der neue Mensch neben Ihnen redet und redet, erzählt Ihnen nicht nur das, was Sie fürs Erste wissen wollten, sondern einfach alles (oder auch nichts, denn die Grenzen dazwischen sind in diesem Stadium der Bekanntschaft noch sehr fließende, je nachdem, mit wem man es zu tun hat), er redet und redet und redet, und Sie bemerken, dass er nicht mal mehr wahrnimmt, dass er mit Ihnen redet, sondern dass Sie für ihn nichts weiter sind als eine Wanne, in die sich sein Erzählen ergießen kann, dummerweise sind Sie eine gute und sehr aufnahmefähige Wanne, so dass er den Bottich seiner biographischen Banalitäten komplett ausleert, bis Sie, naja, bis Sie folglich irgendwann überlaufen.
Dann reicht es Ihnen, dann täuschen Sie eine dringliche Absenz vor (Klogang, Zigarettenpause, Telefonat – was auch immer), verschwinden kurz, wechseln danach den Platz, und gegenüber sitzt Ihnen ein weiterer neuer Mensch – und das Spiel des „betreuten Monologs“ beginnt von vorn.
Intern hegt man dabei Gedanken wie: Wird sich der andere wohl später, wenn die Feier vorüber ist und er sich auf dem Nachhauseweg in aller Stille Rechenschaft darüber ablegt, wie der Abend gewesen ist, wenigstens vor sich selbst dazu bekennen, kommunikativ auf ganzer Linie versagt zu haben?
Oder: Ob ich einfach mal die Zeit stoppen sollte, bis (vielleicht) die erste Gegenfrage kommt? Und man tut gut dran, jenen Gedanken, also den mit der Stoppuhr, nicht weiterzuverfolgen, denn sie kommt nicht, die Gegenfrage, im Gegenteil, das Gegenüber hat sich bereits so weit von meiner Frage entfernt, dass eine Gegenfrage an mich geradezu gestelzt und willkürlich wirken würde.
Als ich spätabends, innerlich ausgelaufen und zugleich unangenehm angefüllt von fremden Lebenshighlights und -anekdoten, durch das Schneetreiben nachhause laufe, sage ich zu den Flöckchen, die mir ins Gesicht fallen: „Ja, ihr dürft das: mir hemmungslos ins Gesicht rieseln.“
Schneeflocken sprechen nämlich eine Sprache, die mir angenehm ist und die mich erreicht in ihrer sanften Unaufdringlichkeit und unmittelbaren Zugewandtheit.
Die letzte wahrhaftige und wichtige Begegnung im alten Jahr, die länger als eine Viertelstunde währt, erlebe ich mit K.
Wir haben vier Stunden Zeit, wir verschwenden davon keine Minute, wir spazieren, wir sprechen, wir sitzen am Ufer der Donau auf einer Bank und blinzeln in die Sonne. Nebeneinander, miteinander, für einander. Es gibt Freundschaften, die hat einem der Himmel gesandt, da braucht es kein Drumrum, keinen Rahmen, keine Geschenke, keine Versprechen, man hat sich gefunden und erkannt und spricht ein und dieselbe Sprache und schweigt ein und dasselbe Schweigen.
Ein Solitär des Schicksals, es mangelt mir an weiteren Worten für solches Glück.
Der Berliner Anwaltsfreund, auch so ein Langzeitlebensvertrauter, hat sich über die Weihnachtstage anlässlich meines abgeschmetterten Kühlkostenwiderspruchs ins Verwaltungsrecht vertieft und erläutert mir nach den Feiertagen die Sachlage. Gottseidank sitzt mir bei dem Telefonat bereits das Virus im Nacken, sonst hätte ich womöglich noch die Kraft aufgebracht, mich irrsinnig aufzuregen über diese Verkettung saublöder Umstände. Das neue Jahr wird damit beginnen, dass ich den Widerspruch zurücknehme und die 2.000€ für die Kühlung des verblichenen Verwandten bezahle. Ich hätte in der Angelegenheit zwar noch eine Chance, realistisch wäre diese aber nur, wenn ich mir einen Anwalt nähme und klagen würde. Und da der Ausgang der Klage ungewiss ist und selbst ein Fachanwalt für stinklangweiliges Verwaltungsrecht nicht umsonst tätig wird, ist’s das weitere finanzielle und nervliche Risiko nicht wert.
Über dreieinhalbtausend Euro für Vladimir, den unbekannten Onkel, den Bruder der Mutter, selten eine Kurzbegegnung von solcher Tragweite gehabt, wenigstens kann nun kein Verwandter aus der Linie mehr daherkommen und mir solche Unsummen für sein Ableben aufhalsen, jetzt sind sie alle unter der Erde. Würde man wenigstens mal was erben, wäre das alles weit weniger bitter, dann nimmt man halt die Villa und verkauft den gläsernen Gartenpavillon oder den Kirschholzsekretär und bezahlt davon das Begräbnis. Der Onkel aber besaß weder eine verfallene Datscha südlich von Prag, wo er aufwuchs, noch eine antike Wanduhr in seiner Schwabinger Wohnung noch ein lausiges Depot mit ein paar Gazprom-Aktien drin.
Stattdessen: 37.000€ Schulden, so gesehen waren die 80€ für die notarielle Beurkundung der Erbausschlagung eine überaus sinnvolle Investition.
Genug gegrämt, es muss weitergehen, auch nach diesem Desaster.
Anderthalb Wochen Siechtum und ich komme zu dem Schluss, dass der kränkste Part meines Krankseins das als schier unerträglich empfundene Verdammtsein zur Reglosigkeit ist.
Anderthalb Wochen, das ist an sich lächerlich, doch ich, ich fühle mich wie amputiert und abgeschnitten von aller Vitalität. War ich schon immer so? Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt’s an der Schneise der inneren Verwüstung, die das vergangene Jahr in mir hinterlassen hat, dass ich mich mittlerweile gar so schnell existenziell angegriffen fühle, wenn der nächste Brocken Lebensmist (egal, welche Brockengröße) vor meinen Füßen landet.
Da ich jeglicher Selbstmikroskopierung derzeit überdrüssig bin, werde ich es wohl nicht herausfinden, wie es wirklich ist.
Als das Fieber abgeklungen ist, fahre ich den Gatten mitsamt einer beeindruckenden Menge Gepäck zur Reha. Vier Wochen verbringt er in einer Traumgegend im Oberland, der Glückliche, sofern eine Reha an sich eine Schnittmenge zu Glück aufweist. Bergblick vom Balkon, Rundumversorgung, Aufpäppelprogramm, Trainingstherapien mit den tollsten Namen und coronabedingt sogar null Stress bei den Mahlzeiten (man isst in Schichten und kann daher ohne Zwangsgequatsche essen).
Wir hoffen beide, dass währenddessen (und vor allem danach) vieles anders werden möge und dass das, was nicht (mehr) zu ändern ist, sich wenigstens im Anschluss anders anfühlen wird.
Das Fräulein und ich sind nun wieder auf uns allein gestellt, darin haben wir allmählich mehr als genug Übung.
Endlich mal Ruhe, nennenswert lange noch dazu. Unterbrochen von vereinzelten Hustenanfällen, aber doch überwiegend Ruhe. Bislang fühlt es sich ganz gut an. Die Tage bzw. Abende, an denen es happig wird, werden noch kommen: das Abwägen, ob man nun eher den Hund drei Stunden allein lässt oder doch lieber auf die Abendunternehmung verzichtet. Je älter sie wird, desto schwerer fällt es mir, sie länger allein zu lassen, obwohl sie das stets brav bewältigt, wenn es mal ansteht.
Ich gönne mir „Die Leiden des jungen Werther“ am Residenztheater, eine verbilligte Karte am Rande des Parketts (wo einen nicht alle krumm angucken, wenn man mal kurz in seine Maske hustet).
Als Entschädigung für die in manchen Momenten minimal eingeschränkte Sicht springt einem der junge, agile Hauptdarsteller zweimal fast auf den Schoß. Hüstel, hüstel. (Meine Güte, ist der jung.)
Eine neunzigminütige One-Man-Show, ich fasse es nicht, wie ein Mensch nur so viel Text behalten kann.
Die Inszenierung von Werthers Wirklichkeitsverlust und der von ihm beklagten „Zeit der Ebbe“ fegen mir durchs Gemüt, die Bühnenfarben knallen mir ins Gesicht, bunt und blühend stürmen und drängen einem theatralischer Leichtsinn und dramatische Lebensmüdigkeit entgegen, die mich schon zu Abiturszeiten so gefesselt hatten.
Alles andere als simple Erbaulichkeitsunterhaltung, genau das war die Intention, der Kontrast zur eigenen Düsternis hat ja gelegentlich einen kathartischen Effekt.
Ich will, lieber Freund, ich verspreche dir’s, ich will mich bessern, will nicht mehr ein bisschen Übel, das uns das Schicksal vorlegt, wiederkäuen, wie ich’s immer getan habe; ich will das Gegenwärtige genießen, und das Vergangene soll mir vergangen sein.
Johann Wolfgang von Goethe, „Die Leiden des jungen Werther“ – Am 4. Mai 1771.
Eine treffliche Losung (ja, das Gegenwärtige darf sich gern mal anschicken, wieder etwas konstanter Genuss zu spenden), ich notiere sie sofort in mein Notizbuch, als ich aus dem Theater zurückkomme.
Überhaupt soll das Notizbuch wieder verstärkt zum Einsatz kommen, zu vieles kommt einem sonst abhanden, und die Zettelwirtschaft muss ein Ende haben, es liegen noch allerhand lose Blättchen aus den letzten Monaten herum, man trägt das nicht nach, man legt es ab und vergisst es.






Als nächstes Highlight meines Strohwitwendaseins ist ein vormittäglicher Kinobesuch dran.
Im Dezember haben das Dackelfräulein und ich zusammen „Leonard Cohen, A Journey, A Song.“ gesehen, eine Wucht, dieser Film – freilich nur, wenn man Musikfilme mag und zweistündiges Dauerhallelujah ertragen kann. Wir beide beherrschen das recht gut.
Ich schwanke zwischen der Frage, ob wir uns den Cohen nochmal anschauen oder ob ich mich alleine in diesen prämierten Schweizer Bergfilm, den ich schon seit Wochen sehen will, begeben soll.
Alleine, weil Filme mit Kuhmuhen (und womöglich im Kuhstall kreisenden Fliegen samt Fluggeräuschen) mit dem Fräulein um Einiges problematischer sind als zwei Stunden Hallelujah.
Es wird der Bergfilm „Drei Winter“, der eher ein Beziehungsdrama ist, das sich in einem Bergdorf abspielt, das rein gar nichts mit der Idylle gemein hat, die der moderne, outgeburnte, rousseauistisch angehauchte Stadtmensch als Tourist im ausgebauten Alpenraum vorzufinden hofft, um sie dann mit „Mei, ist das alles noch ursprünglich hier!“ zu einem Einfachheitsentwurf („Wie schön könnte es doch sein, so aufs Wesentliche reduziert auf dem Land zu leben!“ ) zu verklären, der einer dort gelebten Realität keine Woche standhalten würde, schon gar nicht bei Scheißwetter.
Bedrückend in dem Film: Die Kargheit des Ortes, die Schlichtheit der Charaktere, die Rauheit der umgebenden Natur und die Grausamkeit einer Krankheit, die einen der Protagonisten, einen grobschlächtigen, gutherzigen Burschen, ereilt und nicht nur sein Leben zerstört. Dazu Unmengen an Schnee, harte Arbeit, krasse Steilhänge und dramatische Kuhszenen – ein echter Januarfilm, sofern Januar nicht 12 Grad und überquellende Biergärten bedeutet, wie’s erst am Samstag der Fall war.
Nebenbei: Ein interessantes Phänomen, dass sich das Kino derzeit so intensiv dem Bergfilmgenre verschrieben hat. Irgendein Feuilletonist vermutete neulich ein gestiegenes „Weite-Bedürfnis“ der Menschen als Ursache dafür. Ich weiß nicht so recht – hatte der Mensch je ein Enge-Bedürfnis?
Und der nächste Alpinfilm steht schon in den Startlöchern: ein italienisches Gebirgsdorf, eine lebenslange Männerfreundschaft, die gemeinsame Leidenschaft für die Berge als Bindeglied zweier unterschiedlicher Lebensläufe, dazu ein Soundtrack von einem Schweden, den ich schändlicherweise nicht kannte.
Ein Bilderbuchschwede, mit einer Stimme, dass es den Elchen die feinen Härchen auf ihrer Basthaut wie elektrisiert aufstellen würde, wenn sie ihn – natürlich am Lagerfeuer vor seiner südschwedischen Blockhütte – singen hörten.
Daniel Norgren heißt er und letzten Juni wäre er hier in München zu hören gewesen, aber letzten Juni waren wir hier mit Trauma-Training und Krankenschwesterjob beschäftigt, anstatt schönen Schweden zu lauschen.
Auch das soll sich wieder ändern.
Nach neun Tagen Bewegungsverhinderung ein erster vorsichtiger Lauf, wahrscheinlich besser als „Walking“ zu titulieren. Egal. Hauptsache, den Körper langsam wieder von der Leine lassen.
Der übliche Park, die übliche Runde. Im Vormittagslicht sitzt die Entrückte auf einer Bank, ihr milchiges Gesicht und ihre schlohweißen Stirnlöckchen in die Sonne gereckt, auf dem Schoß ihren bedeutungslosbeigen Chihuahua.
Sie summt (wie immer) mit halb geschlossenen Augen das „Ave Maria“ , dem Hündchen ist das (wie immer) einerlei, es nascht von den vor seiner Nase auf der ausgestreckten Handinnenfläche dargebotenen Leckerchen und sieht dabei aus wie ein kleines, emsig pickendes Vögelchen.
Mit verklärtem Blick guckt die Frau bisweilen zu ihrem blassen Tierchen hinab und trällert die Arie noch einen Tick schriller.
Was für ein seltsames Gespann, diese beiden, und doch so stimmig, wie sie da in der milden Wintersonne vor sich hingrienen und -mümmeln, miteinander wie zu einer tirilierenden, schnabulierenden Statue verschmolzen, nicht ganz von dieser Welt und doch mittendrin in der Wirklichkeit des sonntäglichen Stadtparks.
Von der Theresienhöhe wieder hinunterlaufend in die Ludwigsvorstadt ist mir ganz dringend nach Musik, zuhause angekommen lege ich eine der Care-Paket-CDs von L. ein, drehe laut auf, so dass ich die dritte Konzertnacht in Asbury Park (1996) auch unter der Dusche noch deutlich hören kann.
Anschließend gehe ich in den Keller und hole das Akkordeon wieder hoch. Der Wetterbericht verspricht eine Serie von grauen, windigen, kalten Tagen, und die Steuererklärung, die kann ruhig noch ein wenig warten.
Ich brauche jetzt Nahrung auf allen Ebenen, und wenn ich dann mal annähernd satt bin, ja dann.
Danke für diesen großartigen Text. Ich habe die meisten Bücher von Büscher gelesen, aber wenn er spricht, ist es noch ein bisschen intensiver.
LikeGefällt 1 Person
Das freut mich sehr, danke für deinen Kommentar. Den Büscher muss ich mir mal vorknöpfen, wenn ich gesund bin.
LikeLike
Es lohnt sich. Sie sind alle phantastisch. Chronologisch: Deutschland, eine Reise, Berlin-Moskau, Hartland, Ein Frühling in Jerusalem und Heimkehr. Evtl. würde ich mit der Wanderung um Deutschland an der Grenze entlang beginnen. Im letzten Buch Heimkehr wohnt er eine Weile im Wald in einer Hütte à la Thoreau. Da geht es auch um Abschiednehmen. Was ich besonders an seinem Schreiben mag, da ist nie ein Wort zuviel, das ist unheimlich konzentriert. Hartland ist wirklich eine wahnwitzige Unternehmung. Genauso verrückt wie Berlin-Moskau, aber da hat er sich wohl doch etwas verrannt, um hunderte Km an viel befahrenen Hauptstraßen zu gehen, muss man wohl doch etwas masochistisch vetanlagt sein.
LikeGefällt 1 Person
Pingback: 2717 | Ohrenschmaus
Betreute Monologe. Ich liebe deine Sprache 💖 48 Minuten ist eine gute Kür, finde ich. Kriege ich so nicht hin, glänze meist durch vorzeitige Absenz und lasse mir mangels Schneeflocken den hiesigen Nieselregen ins Antlitz rieseln, anstelle endloser Sprach-Diarrhoe irgendeines Gegenübers.
Fein, dass du wieder fitter bist!
Und Grüße, Reiner
LikeGefällt 1 Person
Gell, 48 Minuten sind ordentlich?!
Aber ob ich das so beibehalten werde, wage ich derzeit zu bezweifeln.
Hab Dank für deine Resonanz, die mich gefreut hat!
LikeGefällt 1 Person
Das schmale Büchlein von Werner Herzog hatte ich beim Erscheinen gelesen. Es ist eine Rettungs-Geschichte. Schön nach langer Zeit wieder davon zu hören.
LikeGefällt 1 Person
Ja, eine sensationelle Rettungsgeschichte, in mehrfacher Hinsicht.
LikeGefällt 1 Person
„vom gehen im eis“: liegt, seit ich es vor jahren zum ersten mal las, als dauergast auf dem schreibtischbücherstapel, da ich es gern einfach so zwischendurch in der hand halte, wiege … ein besonders buch …
ganz herzliche grüße: pega ❤
LikeGefällt 1 Person
Ja, ein paar Tage vor Weihnachten hat der Film über Leonhard Cohen und sein Hallelujah gut gepasst. Da waren Teile der Biografie, WegbegleiterInnen und Einblicke in die Musikindustrie. Was für einen Weg der Song genommen hat. Möge er uns in mühseligen Zeiten und glücklichen Momenten begleiten.
Schöne Grüße mit guten Wünschen
Bernd
LikeGefällt 1 Person
„er redet und redet und redet, und Sie bemerken, dass er nicht mal mehr wahrnimmt, dass er mit Ihnen redet, sondern dass Sie für ihn nichts weiter sind als eine Wanne, in die sich sein Erzählen ergießen kann, dummerweise sind Sie eine gute und sehr aufnahmefähige Wanne, so dass er den Bottich seiner biographischen Banalitäten komplett ausleert, bis Sie, naja, bis Sie folglich irgendwann überlaufen.“
Ich habe so herrlich gelacht … Danke. Es hat mich einfach toll erwischt, auch noch eine „gute und aufnahmefähige Wanne“, ja, nicht selten habe ich mich genau so gefühlt. Wunderbar beschrieben – mit dem Humor kann im neuen Jahr ja gar nichts passieren! Trotzdem gute Rekonvaleszenz!! Viele Grüße!
LikeGefällt 1 Person
Habe mir nur kurz die Passagen zu „Drii Winter“ herausgepickt, den ich neulich an den Solothurner Filmtagen gesehen habe. Schwerer Stoff, aber ein guter Film. Was ja immer wieder Thema ist, ist die Sprachlosigkeit von uns Innerschweizer*innen, die ja das alles irgendwie noch unerträglicher macht.
LikeGefällt 1 Person
Interessant, von einer Schweizerin dazu was zu hören, das mit der Sprachlosigkeit wusste ich nicht. Mich hat der Film ziemlich bedrückt, aber dieses Mitgenommenwerden von Geschichten (egal, ob im Positiven oder Negativen), die gut und glaubwürdig erzählt werden, das mag ich.
LikeLike