Beim 94. Lauf seit Pandemiebeginn ereilt mich gestern das Gefühl, dass ich den Park nun in- und auswendig kenne. Bald werde ich sowohl die Eichhörnchen anhand ihrer Schneidezähne auseinanderhalten können als auch die Rufnamen aller dort regelmäßig ausgeführten Hunde auswendig kennen, inklusive ihrer Kosenamen. (Man möchte es übrigens kaum für möglich halten, wie rasseübergreifend und größenunabhängig die diversen „Mäuschen“ herbeizitiert oder für die Verrichtung ihrer Geschäfte gelobt werden).
Den alten Mann mit dem einäugigen Hund grüße ich zwischenzeitlich ebenso selbstverständlich wie den ausgeleierten Herrn im gleichermaßen ausgeleierten Cordsakko mit seinem graunasigen Whippet-Rüden oder die Frau, die mit ihrer nussbraun-ondulierten Welsh-Springer-Spaniel-Hündin ungeachtet jeglicher Friseurgeschäftsschließung in Sachen Haarkleid im Dauerpartnerlook unterwegs ist.
Den adipösen Jogginghosenträger, der seinen angeleinten Dackelmischling fahrradfahrend hinter sich herzerrt, grüße ich hingegen niemals, stattdessen erwäge ich diverse Befreiungsaktionen des armen Hundes, der nirgendwo in Ruhe schnüffeln oder seine Duftmarken setzen darf. Dasselbe gilt für die dämliche Tussi, die Gassigehen so auffasst, dass sie telefonierend (oder anderweitig in ihr Handy vertieft) herumsteht oder -sitzt und der Hund für eine Dreiviertelstunde (so lange dauert mein Lauf – was vorher oder nachher geschieht, entzieht sich meiner Kenntnis) sich selbst überlassen wird, irgendwo hinkackt, Mülleimer leerfrisst, Eichhörnchen jagt oder aus Langeweile einen Artgenossen anfällt. Diese Pseudotierfreunde habe ich mindestens so dick wie die Parkvermüller, die von Woche zu Woche mehr zu werden scheinen (oder aus Frust mehr futtern und deshalb mehr Müll hinterlassen, man weiß es nicht).

Dieser 94. Lauf wird für eine Weile mein letzter gewesen sein, denn das Schicksal (oder Laufgott Asicius?) verordnet mir noch am Nachmittag desselben Tages überraschend eine Pause.
Ich hätte es ja netter gefunden, das wäre sanfter eingeleitet worden als mit so einem herben Sturz auf eine Steinplatte, offenbar war es aber anders vorgesehen (fairerweise möchte ich ergänzen, dass mir zuvor noch ein sonniger Spaziergang samt ausgiebiger Rast am geheimen Bootshaus vergönnt war).
Die Uferböschung ist eigentlich durch zwei simple Schrittchen zu überwinden, hinunter gelang mir das auch noch einwandfrei, als ich dem Fräulein folgte, nur hinauf sollte es nicht mehr klappen. Die schmale Steinkante, auf die ich den rechten Fuß aufsetzte zu Schritt Nr. 1, war leider nur noch lose in der Böschung verankert, lockerte sich beim Drauftreten, kippte mir auf die Schuhspitze und hernach kippte ich um.
Fiel mit der Kniescheibe frontal auf einen anderen Stein und knickte dann komplett zur Seite um, plumpste hinein in den einzigen Dornenbusch an diesem Uferstück.
Kaum zu glauben, wie deppert man fallen kann, und noch kaumer zu glauben, dass man den ganzen zähen Winter über selbst die abenteuerlichsten Bergstrecken ohne jedwede Blessur gemeistert hat, erst vorgestern noch stundenlang knietief durch den Schnee gestapft, nix passiert einem da, nirgends, stattdessen semmelt’s einen auf einem seichten Abhang von 70cm Länge dermaßen hin…
Dank des ersten T-Shirt-Wetter-Tages 2021 (gestern: 18 Grad und Sonnenschein am See) konnte der ausgehungerte Strauch gleich eine ordentliche Fleischmahlzeit zu sich nehmen – seine gierigen Fangzähne steckten überall in meinem Arm, als ich mich mühsam wieder hochgerappelt hatte (versuchen Sie das mal: sich mit Knieschaden im Dornenbusch liegend ohne Einsatz der Hände und unversehrt aus jenem zu befreien) und benommen vor Schmerz auf den Weg zurücktaumelte.
Das Dackelfräulein sofort zur Stelle und im Krankenschwestermodus: Wunden verarzten, nicht von der Seite des Patienten weichen und unterwegs aufpassen, dass das wacklige Frauchen beim Anlehnen an einen Zaun nicht noch von dessen Latten aufgespießt wird.
Im Schneckentempo und humpelnd den Steilweg zum Hochufer zurück, wo das Auto geparkt steht. Die Heimfahrt nicht allzu lustig, weil der Wechsel des Beines zwischen Gas- und Bremspedal nur unter Zuhilfenahme des Armes zu bewerkstelligen ist, aber was will man machen, irgendwie muss man ja nachhause kommen.
Den Freitagabend dann mit reichlich Ibuprofen, einer Kältekompresse und dem Voltar_Engel (sein Nachname: Forte, was ja schon mal hoffnungsfroh stimmt) auf der Couch gesessen. Der Gatte sorgt mit einem feinen Bierbichler-Film für mentale Ablenkung und stellt sich schon mal drauf ein, dass alle weiteren Beinarbeiten am Wochenende wohl an ihm hängenbleiben werden, was nicht schön ist, da er seinen zweiten Coronazeitengeburtstag eigentlich ausfliegend mit dem Fräulein und mir verbringen wollte, woraus jetzt nichts wird bzw. was auf Montag verschoben wurde, in der Hoffnung, dass der Monsterbluterguss bis dahin wieder einen längeren Ausgang erlaubt.
Sogar die Geburtstagsfrühstückssemmeln und -brezen, die grundsätzlich von dem zu besorgen sind, der nicht Geburtstag hat, muss er sich diesmal selbst beim Bäcker holen, eine äußerst grausame Änderung der üblichen Verhältnisse an einem solchen Jubiläumsmorgen, die mir zutiefst leid tut und die auch das ewig leuchtende Licht des Stern des Südens auf dem Gabentisch nur bedingt wettzumachen vermag.
Als Zeichen meines guten Willens meiner Tapferkeit & meiner unendlichen Liebe schleppe ich mich nach dem Frühstück immerhin noch zum Blumenstand um die Ecke und hole dem Gatten ersatzweise ein bisschen blühendes Leben ins Haus, bevor ich mir den Zinkleimverband ums bläulich-pralle Knie kleistere, auf die Reservebank sinke und Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit diesem Invalidenbericht zutexte, den ich nun jäh abkürzen muss, weil soeben der Paketbote klingelt und ich noch rechtzeitig zur Wohnungstür gelangen möchte (was hinkend etwas dauert), bevor er die letzte Lieferung, die mir zur Vervollständigung meines Neoprensortiments für eine gelenkentlastende Bewegungszukunft im Wasser noch fehlt (die Handschuhe nämlich), wieder mitnimmt oder womöglich bei den falschen Nachbarn abgibt.