Gereist Geschrieben Gestaunt Montagmittagumzwölf

(#21): Bassotto bellissimo.

Ein paar Autostunden von daheim entfernt. Ein anderer Kirchturm läutet zur Mittagsstunde, ansonsten ist es still hier.
Ich habe die Fenster meiner kleinen Dachmansarde weit geöffnet, klare Luft verhilft ja manchmal zu klaren Gedanken.

Zuhause zuletzt eine ordentliche Portion Rummel vor der Tür, das Oktoberfest begann unter blauestem Bayernhimmel, beim Blumengießen auf dem Balkon stieg einem schon morgens der Duft von gebrannten Mandeln in die Nase, ab Mittag schwappte bei jedem Looping ein Kreischen der Achterbahninsassen in den Hinterhof, ab und an auch eine Polizeisirene oder das Martinshorn eines Krankenwagens.
Der Gatte und ich zogen wie jedes Jahr einmal zur nachmittäglichen Schokospießschlacht los, drehten unsere Runde über die Theresienwiese und nach einer Stunde reicht’s dann auch wieder mit Humtata, Folklore, Gedränge unter sengender Sonne und komatösen Karnevalisten kaum vier Stunden nach dem „O’zapft is!“ unseres OBs.

Erwartungsgemäß ist auch auf der Wiesn alles teurer geworden, drei Schokospieße, eine Tüte Cashews und ein paar Mitbringsel (für den Quartiersherren der Solituden-Bude Nr. 2 und die Freundin im Bergland) später staunten wir ein bisserl, wie die Scheine nur so davonflattern auf dem bunten Festgelände.
Die Bilanz des Eröffnunssamstags ist auch jenseits der Preissteigerungen beachtlich: Besucherzahlenrekord, Sonnenstundenrekord, Rekordschlangen an den neuen Trinkwasserspendern, ein Rekord in Sachen Gesangsdarbietung, weil das Grauen aus Graz (Gabalier) nur wenige Minuten nach dem Anstich die Bühne im Schottenhamelzelt betrat (Hulapalu) sowie zwei Verletzungsrekorde – nur 9 Minuten nach dem frühmorgendlichen Einlass schon der erste Patient und abends dann ein Auffahrunfall der Geisterbahn „Höllenblitz“ mit 9 Verletzten.

Die nächtliche Gassirunde ein kleiner Scherbenroutenlauf und obwohl bis zum Morgengassi die gesamte Straße wie dreimal frisch shampooniert glänzt, ist es eine Erleichterung, erstmal das Weite suchen zu dürfen, achtzehn Tage als Anwohner sind nur schwer machbar.

Nun also Solitude, die Zweite – genau vier Wochen nach der ersten.
Es geht zäh voran mit dem Schreiben, sehr zäh sogar. Wie ich hörte, gibt es etliche Menschen, die sich zu einer bestimmten Zeit für sagen wir mal zwei bis fünf Stunden an den Schreibtisch setzen und loslegen, dann auch sofort etwas zustande bringen und währenddessen alles andere ausblenden können. Beneidenswert. Mir will das so nicht gelingen, ich brauche zu vieles und vor allem brauche ich von manchem extrem wenig, beispielsweise Kontakt und Kommunikation.

Die für mich passende Schreibumgebung ist, wie ich erst allmählich begreife, eine, in der ich ausgeklinkt aus alltäglichem Arbeitsgetöse und fortwährendem Bezogensein auf das Befinden anderer, mich ganz ungestört in einen Kokon aus Erinnerungsfäden und Gefühlsgarnen einspinnen kann. Meine Wortwerkstatt ist ein labiles Laboratorium, leider.

Grad noch diesseits der Störungsgrenze: 1 Satz zum Frühstück, vom Nachbartisch herübergeflötet: Buongiorno, bassotto bellissimo!
Völlig nachvollziehbare Äußerung, wenn man die noch vom Morgentau an der Promenade benetzte Dackelnase neugierig aus dem Körbchen spitzen sieht, wenngleich das hündische Interesse natürlich nicht den Tischnachbarn selbst gilt, sondern lediglich der Lachsscheibe auf ihrer Semmel, aber das merken die (noch) nicht so bald.

Frau Graugans‘ Gedanken zum Mezzogiorno am heutigen Montag lesen Sie hier.

[Anm. d. Red.: Nach 20 Montagmittagen nun doch der Beschluss, den Einzelteilen dieser Serie mehr als nur eine Nummer mitzugeben, und das sogar für die bereits veröffentlichten Beiträge nachzubessern, beizeiten.]

6 Kommentare zu “(#21): Bassotto bellissimo.

  1. Liebe N.,
    Ich wünsche Ihnen eine angenehme Solitude, genießen Sie die Zeit, mögen die Gedanken gedeihen.
    Ihr C.

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    • Lieber C.,
      es ging mir nicht allzu leicht von der Hand, was einerseits am Thema, andererseits an meinen Ansprüchen lag, aber es ging trotzdem voran.
      Und manchmal ist ja ein einziger rundum gelungener Satz schon ein Quell großer Freude (es kommt immer auf den Maßstab der Bewertung an und daran arbeite ich auch noch).
      Herzliche Grüße in Ihren hoffentlich halbwegs erträglichen Montag im Werk!
      Ihre N.

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  2. liebe n., alles, was du brauchst zum schreiben: das wünsch ich dir! und danke für den wiesnrundblick, ich werd auch heuer nicht hingehen, bin wohl eine oktoberfestverweigererin oder so.
    grüße richtung südn(?) in die solitudenbude 🙋 pega

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  3. Pingback: #21 „Leben, leben muß man, meine ich …“ (Oskar Maria Graf) | Graugans

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