Montagmittagsdepesche, die Zweite.
Ich staune, dass es bloß eine Woche gewesen sein soll, die seit Nr. 1 dieser neuen Serie vergangen ist. Doch der Kalender lügt nicht.
Die Person, die den Eintrag vom 1. Mai verfasst hat, hat sieben Tage später nur noch rudimentär etwas mit derjenigen zu tun, die heute hier sitzt und schreibt. Aus dem Aufbruch von „damals“ wurde ein abrupter Abbruch.
Die Verfasserin des ersten Beitrags ist zwar am Tegernsee gewesen, in neuer Funktion und Mission, doch dort mit so dermaßen festgefahrenen Strukturen konfrontiert worden, dass der Schlusspunkt schneller gesetzt war als die Pressemitteilung hätte getippt werden können.
Man erhoffte sich moves von mir, mit denen ich die Leserschaft anders hätte animieren sollen, Pfeffer sollte an Stellen in meinen Text rein, an denen das die kostbaren Ingredienzien völlig verwürzt hätte, ein schönes, deutsches Wort wurde durch ein unnützes englisches ersetzt und die kreative Maxime sollte künftig lauten: kein Satz länger als 15 Wörter. Nur in Ausnahmefällen, in denen der Leser durch den Teaser mal so angeteased ist, dass er’s im Reading-Flow irgendwie schafft, seine Aufmerksamkeitsspanne auf unglaubliche 20 Wörter pro Satz auszudehnen, wäre ein längerer Satz auch mal ok.
Oh my god. Wahlweise: Holy shit. Oder: Ihr könnt mich mal kreuzweise.
Ich eigne mich nicht als Lokalreporterin auf dem Land oder das lokal zu Reportierende auf dem Land eignet sich nicht für mich (wahrscheinlich gälte das auch für die Stadt, ich habe nicht vor, es auszutesten). Es ereignet sich halt und irgendwer wird schon drüber berichten mögen oder können, einer oder eine, der/die über das passende Mindset verfügt.
It’t ain’t me, babe, um einen Literaturnobelpreisträger zu zitieren, der’s auch nicht so hatte mit den 15-Wort-Sätzen.
Wo sind die, die so daherreden und -schreiben, eigentlich aufgewachsen? Heißen mit Nachnamen Traunspurger oder Hebertinger (was freilich beides jetzt nur Beispiele sind, doch in die Richtung geht’s schon) und schmeißen in jeden zweiten ihrer sprachverarmten, smattered 15-Wörter-Sätze mindestens 1 Anglizismus rein. Wozu?
Oder verläuft da etwa ein tiefer Sprachgraben zwischen meiner Generation und der Gen X-Y-Z? Hab‘ ich da womöglichst längst den Anschluss verpasst und bin zur Sprachrentnerin verkommen (und sollte mich besser an Dylans „(…) and don’t criticize what you can’t understand“ halten)?
However – in ein, zwei Monaten werde ich sagen, dass dieses Intermezzo am Lago di Bonzo eine interessante Erfahrung war. So wie manch einer über ein ungewohntes Essen sagt, das hätte ja ganz interessant geschmeckt.
Meist bedeutet das: Konnte man schon mal zu sich nehmen, verschwindet aber hernach sofort in der Versenkung kulinarischer Unerheblichkeiten.
Es wird dann eine Station gewesen sein, eher: ein Statiönchen am Wegesrand, an dem ich kurz innehielt, mich umsah, mich äußerte, außer mich geriet, meine 137-Wort-Sätze wieder in mein Wägelchen lud und weiterzog.
In eine Landschaft, die weit genug ist für meine Worte und in der Menschen leben, deren Köpfe noch ein Nischchen frei haben für Nebensätze.
*****
Im Hinterhof unseres Mietshauses beginnt soeben eine Sanierung des gesamten Garagendachs. Durch die Arbeiten könnte sich die uralte, poröse Decke in unserer Garage lockern und herunterbrechen. Was der Vermieter weiß.
Keine Ankündigung, keine Absprachen, nichts. Stattdessen Überraschungsparty von drei dickleibigen Handwerkern auf dem Dach.
Die Schwiegertochter des Hauseigentümers, ein im einem Glockenbach-Loft ihres Schwiegervaters logierender Gwyneth-Paltrow-Verschnitt, hat zwar null Ahnung, aber nun die Hausverwaltung übernommen.
Klingelt hier heute spontan vorbei, reißt mich aus meiner Montagmittagsschreiberei und macht ein paar Handyfotos von der maroden Garagendecke, derweil die Handwerker oben drüber die Dachplatten wegreißen.
Die Decke in unserer Garage soll repariert werden, wenn das neue Dach drauf ist, heißt es. Ich frage, wann das denn ungefähr der Fall sein wird, schließlich muss spätestens dann unser Auto dauerhaft anderswo abgestellt werden.
Gwyneth Paltrow hat keine Ahnung von den Terminierungen und krakeelt hinauf zu einem der Handwerker, vermutlich dem Chef der Truppe. Der grunzt zurück: „Woaß i ned. Kimmt aufs Weeda o. Wann’s rengt, gehd hoid nix weida.“
Nebenbei die Info, dass der Hinterhof irgendwann im Sommer begradigt werden soll. Ah, schön, dass man das zufällig erfährt. Natürlich ist auch zu der Zeit keine Garagennutzung möglich, selbst die Fahrräder können dann nicht mehr im Hinterhof geparkt werden.
Gwyneth Paltrow jammert noch ein bisschen über Handwerker und Termine und Kosten und Planungsstress und dass der alte und kranke Schwiegervater die Hausverwaltung jetzt nicht mehr selbst machen kann und sie das nun am Hals hat.
Ja, so ein angeheiratetes Erbe wirft nicht nur Kohle in Form von 22 üppigen Monatsmieten ab, sondern bedeutet auch Verpflichtungen. Wozu sie weder Zeit noch Ahnung hat.
Unsere neue Hausverwalterin hievt ihre beiden in Designerklamotten gewandeten Schrazen in das 5.000€ teure Lastenrad und zieht bleichgesichtig und mit blasierter Miene von dannen.
Es verspricht ein schöner Sommer zu werden hier daheim.
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Auf dem Balkon stehend und den Garagendachdeckerjungs etwas zurufend fällt mir eine kleine Spinne in den Ausschnitt. Sie krabbelt einmal übers linke Schulterblatt, zwängt sich kurz in die benachbarte Achselhöhle, strawanzt dann munter Richtung BH, verhält sich aber anständig und zieht weiter gen Bauchnabel.
Nach einigem Herumfummeln unterm Shirt erwische ich sie schließlich und schnippe sie rüber zum Fächerahorn.
Kennen Sie das? Obwohl Sie ein Krabbeltier längst von Ihrem Körper entfernt haben, kribbelt es dort noch minutenlang (manchmal sogar stundenlang) weiter und man kratzt und juckt und wischt und streicht sich an der ehemaligen Krabbelzone herum, doch da ist nichts mehr!
Irgendwann haben Sie Kratzstriemen auf dem Bauch, von einer Spinne, die es sich längst auf einem sonnenbeschienenen Blatt im Fächerahorn gemütlich gemacht hat.
Es gibt nicht nur Phantomschmerzen, sondern auch Phantomjuckreiz.
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Die Monday-Lunchtime-News von Frau Graugans lesen Sie bitte hier.
„Sprachrentnerin“ – Da ist Ihnen wieder ein wunderbares Wort eingefallen.
Eine angenehme Woche ohne weitere Anglizismen wünscht
Ihr C.
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Lieber C.,
ein später Dank für Ihr Kompliment, aber wir hatten ja gestern schon Kontakt, noch dazu erneut in ähnlich gemeinsamer Angelegenheit wie dem von uns beiden so gern gepflegten Sprachrentnertum. Ich hoffe, der Satz stimmt grammatikalisch, zumindest aber ist er anglizismenfrei.
Kommen Sie gut durch diese Woche und gucken Sie bitte ab Mittwoch gründlich in Ihren Briefkasten.
Herzlich, Ihre N.
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Pingback: #2 Don Quixote | Graugans
du darfst gerne auch 150wortsätze aus deiner feder fließen lassen, ich werde sie lesen, das sind dann quasi ‚mega‘ Sätze…
lg Wolfgang
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Gern gebe ich mir Mühe, auf 150 zu erhöhen und schön, dass das manch einen nicht vom Lesen abhält.
Liebe Grüße zurück!
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Neulich habe ich hier herum einen mir bekannten ältlichen Wessi mit Lastenfahrrad und seinem Kleinkind fahren sehn. Das Gefährt ist im Osten immernoch selten und zum Schreien kurios! Und es passt auch durchaus zu ihm; geradezu Bilderbuch-Grün. Wirklich jedes Klischee erfüllend. Tja…und dann über die Blicke wundern.
„Ich bin so froh, dass ich n Ossi bin!“ (Mal Lucie van Oorg abgewandelt.) Und dass ich hier blieb, als so viele gingen.
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Die ersten Lastenrad-Städter gingen auch noch in diese Richtung, mittlerweile ist das aber zum Drittvehikel und Lifestyle-Objekt verkommen.
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Pingback: Woche 19/2023: Schmusen statt Cruisen – Alltägliches + Ausgedachtes
„Auf dem Balkon stehend und den Garagendachdeckerjungs etwas zurufend fällt mir eine kleine Spinne in den Ausschnitt. “
Die Spinne steht auf dem Balkon und ruft den Garagendachdeckerjungs etwas zu? Und fällt gleichzeitig in den Ausschnitt?
Liebe Grüße von einer Sprachrentnerin – die immer etwas zu meckern hat;)
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Hallo Helga,
spontan wollte ich antworten: Lesen Sie bitte gründlicher! Dann überlegte ich, zu entgegnen: Meckern Sie gern, ich kann das verstehen, weil ich auch gern meckere.
Jetzt möchte ich schreiben: Sie scheinen die Abacoproeces saltuum nicht zu kennen, die bevorzugt auf Stadtbalkonen steht oder sitzt, der Sprache mächtig ist, gleichzeitig nach Handwerkern UND Ausschnitten späht, und – wie ihr Name es schon nahelegt – sich mit einem gekonnten Salto in letzteren schwingen kann.
Viele Grüße zurück!
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