In einem benachbarten Blog hat eine Hündin, die mir über etliche Lektürejahre ans Herz gewachsen war, ihren letzten Atemzug getan.
Obwohl ich weder das Tier noch dessen Besitzerin persönlich kannte, bin ich sehr traurig über diese Nachricht, die Schilderungen der Beziehung zwischen den beiden empfand ich so oft als Spiegelbild meiner Verbindung mit dem Dackelfräulein, folglich kam mir nun die Geschichte vom Tod des unbekannten Hundes wie ein Vorspulen vor: eine kurze Vorausschau auf eine Situation, die eines Tages auch meine Realität sein wird, wenn Pippa mal nicht mehr ist.
Unvorstellbar, unerträglich, unabwendbar.

Ich wünsche mir schon heute, dass man mich dann, wenn es mal soweit ist, mit jeglichem Käse à la „Alles wird gut“ und „Das Leben geht weiter“ (und allem, was jene, die es nicht aushalten können, es einfach mal auszuhalten, wie es eben gerade ist für den anderen, dann so von sich geben) verschont.
Es beruhigt mich, dass ich um drei Menschen weiß, die das können, und die wird es bis dahin hoffentlich noch geben (überhaupt, und in meinem Leben).

*****

Einen von denen, die es nicht mehr gibt in meinem Leben, traf ich bei dem Brunch wieder, das ich am Sonntag schließlich doch noch besuchte, obwohl ich dem Einladenden absagen wollte (es zunächst auch tat, aber im weiteren Absagegesprächsverlauf schien es mir auf einmal doch machbar oder der Gastgeber verfügte über ein gewisses Überredungsgeschick, auf alle Fälle ging ich hin), einerseits wegen dem, den es nicht mehr gibt in meinem Leben, andererseits, weil ich Brunchen furchtbar finde.
Ich frühstücke früh, weil ich Hunger habe, wenn ich aufstehe, und entsprechend habe ich keinen Hunger mehr, wenn ich am frühen Vormittag in eine Speisekarte mit opulenten Frühstücksvariationen gucke, natürlich bestellt man sich dann trotzdem was und verlässt zur Mittagszeit latent überfressen das Lokal – das ist Brunchen für mich. Aber mir ist klar, dass andere das mögen und gerne lange in Gesellschaft in lauten Lokalen herumfrühstücken.

Zwei Worte wechselten der ehemalige Freund und ich, plus ein paar zufällige Blicke quer über den Tisch, mehr nicht. Stimmig und traurig zugleich. Ich war froh, dass ein voluminöser anderer Gast exakt in der Sichtschneise zwischen uns saß – so konnten wir einander jeweils unkompliziert ausblenden.
Halbwegs unversehrt spazierte ich nach drei Stunden mit dem Gatten und dem Fräulein durch Schnee und Kälte wieder nachhause.

*****

Der Schnee, der am Sonntag auf die Theresienwiese herniederrieselte und dank der derzeitigen Eiseskälte auch liegenblieb, ist heute scheußlich zerfurcht von dem gestrigen, gigantischen Bauernaufstand, für den der Odeonsplatz allein nicht ausreichte, weil statt der erwarteten 2.000 Traktoren weit über 5.000 von allen Richtungen in die Stadt einfielen.

Das Viertel stank ganztags nach Diesel, das Fräulein musste ständig niesen, als wir durch die Allee gingen, und in der klirrend kalten Luft hing eine graue Dunstglocke aus Abgasen über der Wiesn.
Einen kurzen Blick warf ich dennoch auf die Schilder, die sich die Bauern oder wer auch immer sonst noch in den Traktoren saß, an die Frontlader montiert hatten, und ich erschrak, so wie ich in den letzten Jahren immer öfter erschrecke, wenn ich feststelle, wie sehr der Anteil an allgemeinem Protestpöbel zugenommen hat, der sich zu jedweder Demo dazugesellt, völlig wurscht, worum es da geht.

Hauptsache, Demo, und somit eine Gelegenheit, gegen die Ampel, die Klimalüge, den Genderirrsinn, die Gesundheitsdiktatur oder gleich das ganze „System“ zu stänkern, zu hupen und zu poltern.
Gesinnungen, so zerfurcht wie der schöne Schnee von all den Traktorreifen.

*****

Zerfurcht war auch ich nach dem Lesen eines wortgewaltigen und inhaltsschweren Textes am Wochenende, der mir beim Durchblättern der abonnierten Blogs begegnte.
Seit langer Zeit war es der erste Text, der mich über Tage verfolgte, und das in einem Ausmaß, wie ich es selten erlebe. Einzelne Worte, Formulierungen, Sätze, ja, teils ganze Passagen, rüttelten plötzlich an einer Tür in mir, die fest verschlossen ist. Und sie ist nicht nur verschlossen, diese Tür, sondern auch verborgen, ein Regal steht davor, dicht gefüllt ist es, damit die Tür schön unsichtbar bleibt.

Beim Lesen dieses Textes schepperte es nun erdbebenartig, so dass alles rausflog aus dem Regal, und durch die leergefegten Regalreihen wurde die Tür dahinter nach ewiger Zeit mal wieder sichtbar. Weiterlesend näherte ich mich der Tür, griff an die Klinke, drückte sie herunter, rüttelte daran, was freilich nichts änderte am Verschlossensein der Tür. Es steckte kein Schlüssel im Schloss, vielleicht besaß ich nie einen, doch mir war, als müsse ich ihn unbedingt finden, um diese Tür öffnen zu können, weil dahinter… – tja, das würde sich dann zeigen.

Keine Ahnung, ob Sie auch manchmal solche epochalen Leseerlebnisse haben, meines wollte ich hier einfach mal festhalten.

*****

Ebenso festhalten möchte ich eine sprachliche Beobachtung, die ich schon seit geraumer Zeit mache.
Immer häufiger höre ich Menschen über einen Kaufakt sagen: „Ich habe mir […] geholt.“ Der eine holt sich ein Ticket für eine Flugreise, die andere holt sich ein neues Laptop, man holt sich sogar Waschmaschinen oder Autos.
Das klingt ungemein locker und lässig, sich Dinge zu holen, viel entspannter jedenfalls, als wenn man sie schnöde kaufen würde.

Allein der Klang von holen erinnert an eine nebebei und ohne großen Aufwand ausgeführte Aktion: etwas fehlte oder wurde ersehnt oder benötigt oder musste ersetzt werden – und ruckzuck hat man sich’s halt geholt.
Dass dafür Geld nötig war, eine – je nachdem, was geholt wurde – womöglich sogar große oder gar schmerzhafte Ausgabe (die evtl. auch mit Sparen oder Verzicht einherging), tritt beim Holen, wie ich finde, völlig in den Hintergrund – denn der Preis der Dinge scheint Nebensache zu sein. Überlässt man ab einem gewissen Wohlstandslevel das Kaufen den Kleinkarierten oder Knausrigen?

Was mich angeht, so spreche ich nach wie vor von kaufen und verwende holen ausschließlich für Getränke, Backwaren, ein bestelltes Rezept oder eine unbestellte Erkältung.
Die (bewusste oder unbewusste?) Vermeidung der Vokabel kaufen irritiert mich jedesmal, wenn mir wieder von einer dieser Holereien berichtet wird, und ich nehme mir hiermit vor, dass ich mal bei einem der Holer oder Holerinnen nachfragen werde, was die Beweggründe für diesen in meinen Ohren seltsamen Sprachgebrauch sind.

*****

Was ich mir ab und an auch zu holen pflege, sind Ratschläge.
Nächste Woche beginnt der nächste Ärztereigen, nachdem ich letzte Woche fast kollabiert bin und daraufhin die neuen Medikamente abgesetzt habe. Was mich weit mehr frustriert hat als die Tatsache, dass dem üppigen Strauß an Nebenwirkungen lediglich ein dünner Halm an Wirkung gegenüberstand, war die Erkenntnis, nun erneut mit leeren Händen dazustehen und die Suche nach einer hilfreichen Behandlung wieder von vorn beginnen zu müssen.
Die Monate, die mich das nun schon beschäftigt, haben Spuren hinterlassen: glückende Gemütshygiene wird zunehmend eine größere Herausforderung.

*****

Manche Musik ist mir da eine große Stütze, selbst wenn die dazugehörige Stimme schon gestorben ist, doch das tut ihrer Ewigkeit nicht den geringsten Abbruch.


Und jetzt schau ich mal nach, was die liebe Frau Graugans heute geschrieben hat.

Nachtrag am Dienstagabend um 22 Uhr:
Freundlicherweise hat Frau Graugans mich vorhin ausgesprochen freundlich darauf aufmerksam gemacht, dass heute noch gar nicht Mittwoch ist, wobei sie ganz kurz sogar der Ansicht zu sein schien, nicht ich, sondern sie könne sich im Tag geirrt haben, weil man in der Landeshauptstadt doch sicher wüsste, ob Dienstag oder Mittwoch sei, doch NIX GWISS WOASS MA NED, zumindest ich nicht.
Verzeihen Sie mir bitte den Lapsus, lesen Sie den Beitrag einfach morgen nochmal, und lesen Sie bitte morgen dann bei Frau Graugans einen korrekt terminierten Text am Mittwochnachmittag.

Besten Dank!


12 Kommentare zu “(#34): Heaven stood still.

  1. Anmerken darf ich, dass meine Großmütter und auch die meiner Freunde zur Grundschulzeit nicht einkaufen gingen.
    Sie gingen einholen.
    Im Konnsumm anne Ecke oder im Piontek sein Lädchen.
    Insofern hole ich mir immer schon was, während andere sich eher was kaufen. Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Und schon gar nicht neu. Außer im Süden vielleicht… 😉

    Gefällt 1 Person

    • Guten Morgen, Lutz,
      klar, da wo du herkommst, sagt man „einholen“, ich weiß schon. Und als Kurzform dann vermutlich „holen“. Aber hier in Süddeutschland geht meines Wissens nach niemand „einholen“, sondern „kaufen“ bzw. „kaffa“. Wie auch immer: ich schau, dass ich mal bei einem „Holer“ nachfrage, wo er sich das hergeholt hat.
      Viele Grüße!

      Gefällt 2 Personen

  2. Über das „holen“ bin ich auch schon gestolpert. Auch über das Geld-in-die-Hand-nehmen statt Geld-ausgeben. Hinter dem Holen steckt wahrscheinlich das Überlegenheitsgefühl, das ich nicht habe, wenn ich auf Augenhöhe mit dem Verkäufer etwas kaufe. So fühlt es sich besser an, irgendwie selbstbestimmter, cooler, unabhängiger, frecher.

    Gefällt 2 Personen

    • Um ein Haar hätte ich das „Geld in die Hand nehmen“ auch noch in den Absatz eingeflochten, schön, dass du das jetzt ansprichst und ergänzt.
      Manchmal ist das mit dem „holen“ wohl einem Idiom geschuldet (siehe anderer Kommentar, von LP), aber hier im Süden trifft das nicht zu, da scheint mir deine Interpretation naheliegender. Ich werd‘ mal nachfragen.

      Gefällt 2 Personen

      • Einholen kenne ich auch. Glaube aber nicht, dass holen die Verkürzung davon ist. Ich glaube eher, es ist dem modernen Konsum-Kapitalismus-Verhalten geschuldet. Geiz ist geil, das hole ich mir jetzt, und so weiter und sofort

        Gefällt 1 Person

      • Ich tendiere ebenfalls zu dieser Interpretation.

        Like

  3. Danke für den wie immer sehr feinen Blogtext mit hichinteressanten Beobachtungen. Das mit dem „holen“ stimmt, das Wort scheint gerade in aller Munde zu sein. Wie bereits im Text angedeutet, vielleicht ein Zeichen dafür, dass es denen, die es in dem Sinne von „kaufen“ benutzen, zumindest finanziell ziemlich gut geht? Eine Frage bzw. Bitte hätte ich allerdings. Wäre es möglich, die beiden einschneidenden Leseerlebnisse nicht nur indirekt sondern direkt mit zwei Links zu teilen, oder spricht da etwas dagegen? Danke und keep on bloggin‘.

    Gefällt 1 Person

  4. So empfinde ich das auch.
    Ich hole mir z.B. (selten) Nachschlag, den müsste ich mir vermutlich nicht mal kaufen.
    Die unbestellte Erkältung allerdings, die Du erwähnst, hab ich MIR nicht geholt, die hat MICH gerade (einge)holt… vermutlich als körperliche Reaktion auf eine Jahreswechseldepression…🤣 Ich nies alle Erinnerung daran raus.

    Gefällt 1 Person

  5. Pingback: # 33 Lichtspiele | Graugans

  6. Ich kenne das ,,Holen“ für ,,Einkaufen“ auch schon aus Kindheit und Jugend (Sauerland, NRW), wobei es weniger für den alltäglichen Einkauf denn für ,,größere Sachen“ genutzt wurde.
    Vielleicht wird das Verb deswegen gerade mehr genutzt, weil die Formulierung ,,Ich hole mir das neue iPhone“ impliziert, dass man sich wirklich auf den Weg in ein Geschäft macht, um den gewünschten Gegenstand von dort zu holen und nicht darauf zu warten, dass der Paketmensch klingelt.

    Gefällt 2 Personen

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..