Die Tage oszillieren zwischen Werkelei, Kümmerei und Einerlei.
Täglich streikt-blockiert-be-/verhindert irgendetwas die ursprüngliche Planung, das Theraband, das den Alltag und letztlich das ganze Lebenspuzzle umspannt und zusammenhält, erfährt ungeahnte Dehnungen.
Selbige bürde ich auch meiner Muskulatur auf, denn das Theraband muss ja gehalten werden können, ohne dass es einem aus den Fingern flutscht und davonschnalzt.
Dazwischen Einkaufen, Arbeiten, Kochen, Gassigehen, Haushaltskram, Telefonate, Gebrechenpflege und Nachrichtenlektüre, eine tägliche Wiederholung des Immergleichen.
Heute Morgen aufgewacht und keine Ahnung gehabt, ob Dienstag oder Donnerstag ist, innerlich war eher Donnerstag, aber wenig später ruft der Papa an und sagt, es sei Mittwoch und er bräuchte Hilfe, dabei war ich erst vorgestern bei ihm und habe mich mit Fragebögen seiner Pflegeversicherung und den Kabel-TV-Vertragsunterlagen der Hausverwaltung befasst. Trotzdem ist es gut, dass er nun öfter um Unterstützung bittet und sich deshalb nicht mehr so geniert.

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Eine halbfertige Kurzgeschichte hätte dieser Tage ein Ende finden sollen und auch können, aber es fehlte der Raum, um die letzten Gedanken mit Worten zu einem Schluss zusammenzufügen.
Mein ganzes Leben schon bin ich auf einer Expedition durch Regionen, in denen ich einen Raum zu finden hoffe, einen abgegrenzten, geschützten Raum, in dem Zeit und Ruhe ist für das Steinadlerküken, das seine Schwingen ausbreiten will und ausprobieren möchte, ob es damit fliegen kann, doch übers Flattern kommt es nicht hinaus.

Die erste Störerin war die Mutter, die immerzu drauf bestand, dass alle Türen offen zu sein hatten, ständig stand sie ungebeten mitten in meinem Zimmer, im Grunde mitten in mir, und warf mit ihren unerfüllten Bedürfnissen um sich, angelte sich alle Aufmerksamkeit, die sie im Terrain der Tochter erwischen konnte, zerrte und zog und zeterte, der komplette Raum anschließend übersät vom Verhau der Verhauerin, ja, zugeschlagen hat sie auch, außer die Tochter war schneller und hatte sich weggeduckt, bevor die Hand ausholte. Nach solchen Auftritten war also Aufräumen angesagt, und bis ich alles wieder so gerichtet hatte, wie ich es brauchte, war ich entweder erschöpft oder die Mutter platzte erneut herein.
Terrorismus der Kindheitsjahre, in Geiselhaft genommene Nachkommen – sie konnte es nicht besser und ich kannte es nicht besser. Das Aufwachsen als Flüchtlingskind, das sie hatte durchmachen müssen, hat sie mir – in Variationen freilich – als opakes Fluchtthema weitergegeben.

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Beglückende Kontrapunkte in dieser Strohwitwenzeit: ein Telefonat mit der Freundin aus Berlin, das Schwimmen in fast frühlingshafter Sonne, ein Isar-Spaziergang mit D., dem sich im Schnee wälzenden Dackelfräulein zusehen (und wenig später Seite an Seite mit ihr auf einer Bank sitzen und rundum strahlen uns die Berge an), das Lächeln des Papas, als er Pippa, die in jenem Sessel liegt, in dem er so lange saß, bis er sich nicht mehr eigenständig daraus erheben konnte, träumen hört.
Und nicht zu vergessen: „Perfect Days“ mit sich perfekt benehmendem Kinobegleithund und einem ganz rührenden Sitznachbarn in den Siebzigern, dessen Knie zu „Pale Blue Eyes“ wippen, den ein kleiner Dialog in einer Filmszene weinen lässt, der mich anstupst und hinunter zum Fräulein deutet, als eine Katze auf der Leinwand zu sehen ist, der mir schlussendlich nach der Vorstellung in meinen Mantel hilft und mir die Tasche mit dem Hundekörbchen drin bis zum Ausgang trägt, damit ich beide Arme für das Dackelchen frei habe.

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Welche Kreise die liebe Graugans zieht, können Sie wie immer hier lesen.


4 Kommentare zu “(#37): Geschützte Räume.

  1. Pingback: # 37 Manifest | Graugans

  2. Ich dachte erst an „Perfect day“ von Lou Reed, diesen Klassiker vor dem Herrn. Singt er doch verblüffenderweise von dem Tag, der nicht perfekt wurde, w e i l die Angesprochene sich zu ihm gesellte, sondern der es einfach war, und es auch ohne ihr Kommen geblieben wäre: schön, dass du da bist, aber es ist auch schön ohne dich. Der etwas andere Liebessong. Jedenfalls in meinen Ohren.

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    • Da hast du ganz in die richtige Richtung gedacht: Lou Reed lieferte einen großen Teil des Soundtracks, „Perfect Day“ (ein Song, den auch ich sehr mag) ist natürlich mit von der Partie.

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  3. „Perfect Days“ war klasse. Mal wieder ein Film, den die meisten Kino-Gäste mit einem Schmunzeln verlassen.
    „Perfect Day“ von Lou Reed. Nicht zu vergessen aber auch „Perfect Day“ von Chris de Burg.

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